Samstag, 31. Oktober 2009

Die Marienkirche und Ich

Schriftsteller haben die Angewohnheit, zu starren. Stundenlang, gegen die Wand, in eine Kaffeetasse, auf den Laptop, vorzugsweise aber aus dem Fenster. Ich würde behaupten, dass ein Schriftsteller mehr aus dem Fenster starrt, als dass er schreibt, behauptet also jemand, fünf Stunden lang geschrieben zu haben (was ohnehin unmöglich ist, am Stück), sage ich: Ja, aber davon hast du drei Stunden aus dem Fenster gestarrt!

Auf dem Blog habe ich nun schon zahlreiche Fotos der Aussicht aus meinem Fenster veröffentlicht, Fotos von dem kleinen Park und der Marienkirche, die sich hinter ihm auftürmt. Jeden Tag guckt mir ihr ummantelter Turm - der Turm wird gerade restauriert und ist deshalb eingepackt in Stoffplanen, die im vergangenen Sturm trotzdem die herunterfliegenden Backsteine nicht abhalten konnten - über die Schulter, guckt mir beim Schreiben zu.

Ohne pathetisch werden zu wollen, ist sie mir tatsächlich so vertraut geworden, und nicht nur dass: Fast schon ein notwendiges Schreibutensil ist sie geworden, etwas, mit dem ich mir einbilde, mich besser konzentrieren zu können, länger am Schreibtisch verharren zu können, wacht die Kirche doch über mir und kontrolliert eifersüchtig meine Arbeitszeit.

Die Marienkirche. Mittlerweile kenne ich sie genau, kenne ihre Ein- und Ausgänge, ihre Portale, die abgewetzten Steinplatten, die Kapellen, die Uhren, die Holzskulpturen, den Altar. Ich fühle mich in ihr zu Hause. Wenn ich meines Schreibtisches überdrüssig werde, meine, nicht genug Zeit zu haben für einen Spaziergang oder eine Stadtflucht, gehe ich hinüber und drehe einige Runden in der Kirche, jedes Mal ein neues Detail entdeckend.

Was werde ich bald schon ohne sie tun? Ich denke über eine Fototapete nach. Irgendwie muss dieses Problem doch zu lösen sein.

Donnerstag, 29. Oktober 2009

Gdynia

Kurze Stadtflucht hinaus nach Gdynia - aus der Stadt in die Stadt. Gdingen, Gotenhafen, Gdynia - eine stürmische Geschichte, und der Sonnenschein von gestern nahm sich denn auch wie ein Anstrich aus, der schwerlich die Geschichte des Ortes und das sonstige, klimatische Temperament verdecken konnte.

Die Zeiten als ruhiges Fischerdorf: welch ein Gegensatz zu der Rolle, die ihm einst im 20. Jahrhundert zufallen sollte. Mir drehte es regelrecht den Magen um, als ich am Hafen stand, ins tintenschwarze Wasser starrte und daran dachte, dass vor gut 64 Jahren von hier die Wilhelm Gustloff startete, mit über 10.000 Menschen an Bord, die meisten von ihnen Flüchtlinge, Zivilisten - und die allermeisten von ihnen sollten ihr Ziel, Westdeutschland, nie erreichen.
Das sowjetische U-Boot S 13 setzte ihrer Reise ein Ende. Jene Versenkung gilt bis zum jetzigen Zeitpunkt als größte Katastrophe in der Geschichte der Seefahrt... (Zum Vergleich: Beim Untergang der Titanic - wenn auch schwerlich zu vergleichen - starben etwa 1500 Menschen)

Vielleicht ist es mein persönlicher Respekt vor dem Wasser, das Misstrauen, das ich diesem Element entgegenbringe, das mich hat am Hafen regelrecht gefrieren lassen.
Vielleicht aber lese ich auch zuviel, bevor ich an Orte gehe, und weiß dann Dinge, wie, dass, um eine Panik zu vermeiden, Soldaten auf der Gustloff über 1000 Menschen mit Waffengewalt im Wintergarten festgehalten hatten. Keine Chance zu entkommen, sich zu retten - und dass, obwohl das Schiff schon im Sinken begriffen war. Um das Drama zu vervollkommnen herrschten draussen Temperaturen von minus zwanzig Grad und das Schiff war nur unzureichend mit Ruderbooten (!) ausgestattet...

Kein entspannender Ausflug also, und dass, obwohl Gdynia heute eine sehr lebhafte Stadt ist, mit breitem kulturellen Angebot und schönen Cafés entlang der Uferpromenade... Dieses Mal besaß ich leider nicht die nötige Seelenruhe, um mich dort niederzulassen und auf die Bojen und Möwen im Wasser zu schauen. Hoffentlich ein ander Mal, Gdynia hat als Stadt einen besseren Eindruck definitiv verdient!

Dienstag, 27. Oktober 2009

Zeitzeugen aus Papier

Gestern war ich im Danziger Archiv - unweit des Werfteingangs - und habe mich durch allerhand alte Stadtführer über Danzig gewühlt. Der älteste war ein schlichter Bildband von 1897, weitere Bücher priesen die Vorzüge der alten Hansestadt an, wieder andere betonten ihre Problematiken, etwa die der beengten Wohnsituation.
Faszinierend, vor sich auf dem Tisch gleich dutzendweis verschiedene Perspektiven und Meinungen aus verschiedenen Jahren zu dieser Stadt zu haben.
(Leider war ausgerechnet jener Stadtführer, nach dem ich gesucht hatte, nicht vorhanden...)

Eigentümliche Atmosphäre in dem Gebäude und im Arbeitsraum - nicht zu vergleichen mit der Bibliothek eine Straße weiter, die ein ganz wunderbarer Ort ist zum Arbeiten.
Aber immerhin: Der Arbeitsraum war voll, die Konzentration waberte über den Köpfen der Leute, fasst konnte man sie berühren. Dieses Bild hat mich immer wieder von meinen Stadtführern aufsehen lassen: die Köpfe, die dicht über alte Bücher und Karten gebeugt waren, sich kaum bewegten.

Obwohl ich nicht genau gefunden hatte, was ich suchte, habe ich doch einige Ansätze zur Wohnsituation und Bebauung der Vorstadt gefunden...heute steht dann wieder eine Terrainbegehung an, Feldforschung. Für mich ist es natürlich wichtig, um die Geschichte der einzelnen Orte zu wissen - als Fundament, gleichsam. Wichtiger sind aber Inspiration und Geschichten, die mir die Orte heute geben.
Und die Bäume am Wallplatz, rund um die Reste des alten Springbrunnens, müssen heute in grellem Gelb und Rot leuchten. Es ist Herbst, und der will erlebt werden!

Sonntag, 25. Oktober 2009

Kunst und Kultur

Nach fast drei Monaten muss ich mich nun, Ende Oktober, an ein Gespräch erinnern, dass ich mit einem Bekannten Anfang August geführt habe, in einem Café auf der Piwna - in jenem Café, in dem sich alle immer treffen und Kaffee trinken (das wusste ich damals noch nicht und dachte, ich hätte etwas entdeckt).

Der ungefähre Wortlaut war wohl, dass sich in Danzig, vor allem im Vergleich mit anderen Städten derselben Größenordnung, wenig tut, im Kunst- und Kulturbereich. Überhaupt sei das keine besonders kulturelle Stadt, viel eher politisch, wirtschaftlich konnotiert. Damals habe ich diese Meinung verblüfft geschluckt, hatte überlegt, ob es wohl stimmen könnte und falls ja, warum.

Jetzt, nach drei Monaten, schüttele ich den Kopf, wenn ich an dieses Gespräch zurück denke.
Allein von meiner Wohnung aus, in einem Umkreis von 500 Metern, findet sich soviel, dass ich gar nicht zu allem komme.
Die großartige Städtische Galerie auf der Piwna mit immer neuen Ausstellungen, die etwas wagen und zeigen wollen, nicht nur wiederholen; die neu eröffnete Grass-Galerie auf der Szeroka, wo nicht nur Kunst vom Meister gezeigt wird, sondern auch Vorträge und Diskussionen statt finden; und, um den Dreischritt zu vollenden, auf der anderen Seite des Flusses, das Zentrum für zeitgenössische Kunst Laznia: Auch dort alle naselang neue Ausstellungen, happenings, Aktionen.
Und das war nur eine kleine Auswahl.

Nach drei Monaten muss man einfach feststellen: In Danzig geht was. Man muss nicht einmal danach suchen, man muss sich nur darauf einlassen.

Freitag, 23. Oktober 2009

Bischofsberg



ulica biskupia



ulica biskupia

So nah und doch so fern

Man kann also monatelang in einer Stadt wohnen, denken, man hätte schon alles gesehen, alle Viertel abgeklappert, und dann blieb, ausgerechnet, genau neben der Innenstadt ein blinder Fleck: der Bischofsberg, heute Biskupia Górka. Gestern habe ich diese Leerstelle auf meiner Danzig-Karte gefüllt, habe sämtliche Schnellstraßen, die Danzigs Innenstadt umgreifen, unterquert und mich an den Aufstieg gemacht.

Ein bißchen wie eine Insel thront der Bischofsberg über die Aleje 3ego Maja, seine Häuserzeilen formen trutzige Wehrburgen gegen den anbrandenden Verkehr. Gleich in seiner Nähe: Der Hagelsberg, die Góra Gradowa, der wesentlich mehr Touristen und Ausflügler anzieht, hinauf zu seinem Kreuz und den Kasematten, von denen man eine ausgezeichnete Sicht auf Danzig hat.

Die hat man auch vom Bischofsberg, aber noch mehr als das: Danzig offenbart eine weitere Facette seiner selbst. Ausgiebig habe ich schon Viertel wie die Niederstadt und die alte Vorstadt abgetastet, habe sie aufgesogen; und doch vermochten mich die ulica Biskupia und die ulica na stoku zu überraschen.
Neben den bereits oft gesehenen Löchern in Fassaden, die von Maschinengewehrsalven hineingerissen wurden, finden sich hier, halb verblichen, halb abgebröckelt: deutsche Schriftzüge an Hauswänden, oberhalb der Ladenlokale. Seifen wurden hier verkauft, auch Milch und Brot.

Aber auch die Stimmung in diesem Viertel ist anders. Den Blick brav gesenkt, betont unbeteiligt - ganz wie eine Einwohnerin - ging ich durch die Straßen, heimlich immer wieder nach oben spähend. Und doch: die Blicke der Leute verrieten, dass sie mich als Eindringling ausgemacht hatten, auch ein Hund wurde halb verrückt und folgte mir mit lautem Gebell die halbe Straße herauf. Ich habe mir nichts anmerken lassen.

Weiter oben, wenn man schon die Häuserzeilen der ulica Biskupia hinter sich gelassen hat, breitet sich ein kleines Wäldchen aus, eine alte Festungsanlage lässt sich finden, ein emporragender Glockenturm. Teile des Hügels sind nicht zugänglich, da sie von einer Polizeikaserne beansprucht werden. Perspektive ist alles: Neulich noch sah ich den Glockenturm von der Bastion Maidloch aus, nun genau darunter zu stehen vervollständigt das Bild, gibt ihm tiefere Dimension.

An diesem Ort, so abweisend oder wenig besucht er heute wirken mag, fand doch Geschichte statt. Im Juni 1946 wurden hier elf Kriegsverbrecher (unter anderem fünf deutsche Aufseherinnen, eine mit dem in die Irre führenden Namen: Ewa Paradies) gehängt - von ehemaligen Häftlingen des Lagers, die die Verurteilten von den Laderampen der LKWs schubsten.

Ich habe den Bischofsberg recht schnell wieder verlassen. Die Zeit jedoch, die ich dort verbracht habe, steht in keiner Proportion zu dem Eindruck, den das Viertel auf mich gemacht hat!

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Stogi. Wind und Wetter



Und keine Menschenseele weit und breit. Schweden, quer übers Meer: 400 Kilometer

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Festungswälle und Bastionen

Einer meiner Lieblingsorte in Danzig ist ganz entschieden die alte Steinschleuse geworden, die die Niederstadt von der Vorstadt trennt.
Gleich hinter dem schmalen Leege Tor - die Durchfahrt ist einspurig, und so gibt es immer ein großes Gerangel darum, wer als erster durchfahren darf, ein großes Gehupe und Gedrängel - türmen sich die Erdkegel der Bastion Maidloch und der Bastion Gertrud auf. Und dahinter, eine bewaldete Wand: der Bischofsberg, bunt getupft und schon arg mitgenommen von den vergangenen Stürmen.

Aber zurück zu der Steinschleuse: Wo im Sommer Kinder umhersprangen und sich in das trübe Wasser schubsten, herrscht nun Stille, Schwäne gleiten durch den Nebel, der sich über die Wasser der Mottlau gelegt hat, und verschwinden mal in den Schwaden, mal im Schilf des Ufers.
Wenn man mutig ist, kann man auf den verfallenen Resten der Steinschleuse balancieren, kann von Granitblock zu Granitblock springen, um schließlich klopfenden Herzens den Aufstieg auf die Krone der Bastion Gertrud zu unternehmen. Einst ließen sich hier in diesen Wällen, die aufgeschüttet wurden aus der Erde und dem Dreck der Stadt, zuhauf Porzellanreste und Münzen finden. Nun ist alles grasüberwuchert, keine Chance, an den Grund zu gelangen.

Von oben hat man eine wunderbare Sicht auf die Niederstadt, dieses wunderbare Viertel: auf den Wallplatz, das alte städtische Leihhaus, und schließlich das kleine Zeughaus, in dem nun ein Institut der Kunsthochschule residiert. Im Innenhof stehen die Fingerübungen der angehenden Bildhauer: Oberkörper, Tiere, Fabelwesen liegen da wild durcheinander, gucken aus dem Nebel heraus den Fußgänger an. Vielleicht das poetischste Bild, das sich finden lässt, weit und breit.

Und da, ganz weit hinten: Die Marienkirche, auch der Turm des Rathauses. Wie weit weg das alles scheint!
Hier gibt es vorerst Spannenderes zu entdecken: Von hier oben lässt sich am Fuß der Bastion Maidloch eine Öffnung ausmachen, die sich später als Fledermaushöhle entpuppen soll: Wer hineinblickt, den umweht ein kalter Hauch. Ein Königreich für eine Taschenlampe!

Dienstag, 20. Oktober 2009

Fort

Es ist der zwanzigste Oktober und draußen ist jeder Bezugspunkt verloren


Montag, 19. Oktober 2009

Genius loci

Am Freitag also die Lesung auf dem mitost-Festival in Danzig. Zwölf Seiten Stadterzählung und eine Stille im Raum, dass ich die Leute in der ersten Reihe atmen hören konnte. Nach der eigentlichen Lesung dann eine Diskussion, die länger als der erste Teil dauerte: Jeder hatte eine Frage loszuwerden, generell zur Literatur oder zu Danzig, aber auch ganz speziell zum Schreiben, meiner Aufgabe in Danzig, Pflichten und Freiheiten, dem Stipendium.
Selten habe ich bei fremden, aber auch bei eigenen Lesungen eine so offene und heitere Atmosphäre erlebt. Es war großartig, danke!

Die Lesung wie das Festival fanden in den Räumen des Kino Neptun in der Langgasse statt, allein schon der Ort hat viel versprochen: die ausladende Eingangshalle, der Aufgang, und schließlich die kleineren, mit Einzelsesseln ausgestatteten Kinosäle. Und draußen, vor den Fenstern: Die berühmten Giebel der ulica Dluga...
Ein, zwei Mal ist meine Aufmerksamkeit während des Lesens nach draußen gerutscht, auf das kalt-nasse Pflaster der Langgasse, bis vor das Rathaus und den Neptun geschlittert (das Wetter hatte sich am Freitag wieder beruhigt - dennoch hatten die Gäste, die von Deutschland aus mit einer Fähre nach Danzig übersetzen wollten, nach Helsinki ausweichen müssen!) und erst dann wieder zurückgekehrt.
Genius loci!

Agnieszka saß ganz tapfer zwischen den Zuhörern, in der hintersten Reihe, so dass wir am Ende zusammen auf ein Bier gehen konnten.
Vorbei am Hohen Tor, der Peinkammer und dem Gefängnisturm (es nieselte, und überall spiegelte sich das orangene Licht der Straßenlaternen), in Richtung des Altstädtischen Rathauses, in dessen Kellergewölbe sich ein Irish Pub befindet. Beim Bier daran denken, dass oberhalb, vor über 300 Jahren, Johannes Hevelius nicht als Bierbrauer, sondern als Ratsherr saß...
Das Rathaus ist das einzige Gebäude, das in jenem Bereich Danzigs nicht zerstört wurde. Die Kontinuität dieses Gebäudes hat denn auch etwas wundersames! Nur an das Guinness muss man sich gewöhnen.

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Ahnung

Ohne dass ich es hätte erklären können, überkam mich bei meinem ersten Besuch in der Nikolaikirche (kosciol Sw. Mikolaja) ein sonderbares Gefühl der Beklemmung.
Am Ende der Swietojanska-Straße gelegen, hatte ich nur ein paar Schritte gehen brauchen, um sie zu erreichen - leicht schräg der Marienkirche gegenüber liegend, bildet sie das Gegengewicht zu dieser monumentalsten aller Kirchen.

Und dabei hätte ich allerlei Grund gehabt, mich für die Nikolaikirche zu begeistern: Nicht nur ist sie die älteste Kirche in Danzig - im 12. Jahrhundert erbaut! - , sondern noch dazu die, die als einzige im Krieg völlig verschont geblieben ist...
Neben einem wunderbaren Sterngewölbe weist sie außerdem eine originale, frühbarocke Ausstattung auf, völlig ausreichend also, um eine Architekturbegeisterte wie mich zu entzücken. Aber dennoch blieb es beim Fremdeln, so dass ich rascher wieder hinausging, als es mir ähnlich sähe.

Und dann erneut ein Treffen mit einer alten Danzigerin, diesmal im Café Ferber, zu einem ausgiebigen und sehr innigen Gespräch. Kurz bevor der Milchkaffee ausgetrunken war, erzählte sie mir, dass nachdem ihre Häuser 1945 zerstört wurden, hunderte von Danzigern über einen Monat lang in der Nikolaikirche Unterschlupf gefunden hatten - oder eher: darben mussten. Viele Kinder zogen es vor, auf dem Boden zu schlafen, weil die Bänke spärlich gesät und hart waren.

Heute werde ich nochmals in die Kirche gehen und sehen, wie es mir dieses Mal ergeht.

Dienstag, 13. Oktober 2009

Radio

....und heute um 18:15 auf Radio Trójka: ein Interview mit mir samt Autorenporträt...

Mitost. Lesung

Am Freitag um 20 Uhr werde ich Rahmen des mitost-Festivals eine Lesung veranstalten mit Texten aus der Stadterzählung, die hier in Danzig neben dem Roman entsteht. Ort der Lesung ist das Festivalzentrum in der Ulica Dluga 57, in der dritten Etage.


Hier der Link zum Festival: www.mitost.org

Unwetter

Gerade hat es mich auf dem Weg nach Hause, auf der ulica Piwna, beinahe von der Straße gefegt - heftige Windböen, die einige der Stoffbahnen, mit denen die Gerüste der Marienkirche ummantelt sich, abgerissen haben, Möwen, die um Haaresbreite an den Giebeln im Flug vorbei getaumelt sind - und dann plötzlich einsetzender Hagel, Regen, Schnee, alles auf einmal, und in der Ferne: Donnern.

Hinter der Marienkirche, irgendwo bei der Grobla, sah ich eine Pfütze, die veritable Wellen schlug. Die Giebelhäuser von der Johanniskirche bis zur Nikolaikirche: Grau in Grau, die vorbeieilenden Leute in buntem Regenzeug die Gesichter nach unten gerichtet.
Gleich werde ich nochmals aus dem Haus gehen - nass bin ich sowieso - um zu sehen, was die Mottlau macht, und wie die Speicherinsel im Sturm aussieht. Aus irgendeinem Grund erfüllen mich Unwetter mit einem Hochgefühl. Es tut sich was!

Montag, 12. Oktober 2009

Wasserstand. Milchkannenbastei

Es gibt nichts Schöneres, als dick eingemummelt in einen warmen Wollpullover an der Motlawa entlang zu spazieren...
Gestern nachmittag, die Sonne schien fahl durch ein paar Wolken hindurch (ich glaube, ich habe den einzigen Sonnenstrahl des gestrigen Tages erwischt) habe ich mich aus der Wohnung also losgerissen und bin dem Fluss gefolgt.

Der Wasserpegel ist merklich gestiegen! Und noch mehr als das: Schwaden von grüner Entengrütze haben sich in die Wellen hinein geschoben und färben den Fluss, schwappen gegen die Schiffsbuge (auf der Mottlau herrscht reger Verkehr - neben dem obligaten Piratenschiff liegen hier zur Zeit mindestens drei andere Schiffe, weiß und glänzend versprechen sie sonnige Tage auf See - oh: schon jetzt, das erste Mal, Wehmut nach dem Sommer).

Und dann doch nur bis zu der Milchkannenbastei gekommen, weil ich mich bei ihr, wie so oft, festgestarrt hatte. Jedes Mal, wenn ich hier vorbei komme, stelle ich mir vor, wie es wohl wäre, in dem Fachwerk-Zimmerchen zu schreiben, das die beiden massiven Türme miteinander verbindet...

Ganz entschieden eines meiner heimlichen Lieblingsgebäude in Danzig. Ich dachte, es stünde leer, dann hat mir jemand gesagt, es seien Büros darin gewesen, zumindest bis dato, jetzt überlege man anscheinend, den Komplex zu verkaufen. Natürlich: Die Fensterchen der Bastei sind winzig klein, die Zimmer nicht nur gekrümmt, sondern auch dunkel...
Nichtsdestotrotz. Ein Ort mit großartigem Potenzial, ich hoffe, es wird genutzt!

Freitag, 9. Oktober 2009

Im Artushof

Der Stress der letzten Tage und die gestrige Kälte im Artushof machen sich mit einer Erkältung bemerkbar... na, Grund genug, zu Hause zu bleiben und alles nochmals gedanklich durchzugehen.

Gestern also erst die Buchvorstellung von "Die Box" in polnischer Übersetzung, Grass las erst persönlich, danach ein Schauspieler aus der polnischen Version, und anschließend die Diskussion über die Rezeption der "Blechtrommel".

Dafür bot der Artushof einen herrschaftlichen Rahmen: Unser Tisch wurde an der Stirnseite des Raumes aufgebaut, über unseren Köpfen schwebten einige hölzerne Schiffe, die an Ruhm und Reichtum vergangener (Hanse) Tage erinnern wollten, und hinter uns brach ein Hirsch aus der Wand (mein Mitstreiter Wojciech Boros bat mich recht inniglich, über diesen Hirsch zu schreiben. Was hiermit erledigt wäre). Und ganz zu unserer Rechten jener berühmte, prächtige Ofen: Was für ein Paradox, dass man mit diesem König der Öfen sich in einem Saal aufhält und trotzdem überlegt, wie einem bloß wärmer werden könnte...

Als die Diskussion anfing, hatte sich das Thema erledigt: Spannung lag in der Luft, schließlich saß der Autor, über dessen Werk wir diskutieren sollten, mitten unter uns: Und ich zu seiner Linken. Ich glaube, ich erzählte etwas von der Wurmlochartigkeit der Blechtrommel, und Grass beschwerte sich am Ende, dass die armen, jungen Autoren so auf die Trommel festgenagelt würden. Während er das sagte, befühlten seine feingliedrigen Hände die Löwenköpfchen seiner Stuhllehnen. Später, beim Abendessen im Radisson, haben wir einen Faden des Gesprächs wieder aufgenommen: Das Phantom der jetzigen Generation. Dazu aber mehr in einem anderen Eintrag... der Kräutertee ruft.

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Literatur. Sprache und Kunst

Es ist recht bezeichnend, dass ausgerechnet jener Post, der sich mit Grass beschäftigt, am meisten Resonanz kassierte. Wo sich die Älteren verraten fühlen, fühlen sich die Jüngeren gelangweilt, so das bisherige Meinungsbild, dass sich bei meinen Gesprächen ergeben hat. Außer die Schriftsteller, die wissen, was ich meine, wenn ich sage, dass ich vor der Blechtrommel den Hut ziehe. Dass die Kulturszene sich mehr als eingehend dem Werk Grass' widmet, muss nicht extra betont werden (siehe das Festival, das gerade statt findet: Grassomania)

Grass hat in der Blechtrommel nicht nur Inhalt gestaltet - der derartig polarisiert, dass etwas wesentliches häufig außer acht gelassen wird: Die Sprache. Hier wurde das Wort gestaltet, die Möglichkeiten des Ausdrucks neu erfunden, Motive ausgearbeitet, die in das kollektive, schriftstellerische Unterbewußtsein übergegangen sind.
Mein Respekt vor dieser Leistung ist also vorrangig der einer Schriftstellerin, von dieser Warte kann und darf man nicht überrascht sein, wenn man den Blog einer Schreibenden liest. Es geht, diesen Aspekt muss man hervorheben, um die Literarizität. Respekt vor einem Werk zu haben heißt nicht, ihm unkritisch gegenüber zu stehen.

Über all dies musste ich gestern nachdenken, bei einem ausgedehnten Spaziergang durch die alte Vorstadt, durch den Zabi Kruk (Poggenpfuhl), am Plac Walowy (Wallsplatz) vorbei, bis hinunter zu den Bastionen... in den vergangenen zwei Monaten ist mir Danzig in all seinen Erscheinungen sehr vertraut geworden, ich bin ungeheuer gespannt, was der morgige Tag birgt.

Dienstag, 6. Oktober 2009

Morgenhimmel


Und alles so friedlich und gut

Montag, 5. Oktober 2009

Lektüre

Wie lange ist es her, dass ich die Blechtrommel gelesen habe? Jahre und zugleich nur einige Momente. Am Stück hatte ich sie vor Jahren verschlungen, und später, bis heute, immer wieder, tröpfchenweise konsumiert, adaptiert, mir und meinem Schreiben anverwandelt...
Ob das reicht, für eine öffentliche Diskussion mit Günter Grass und fünf anderen Schriftstellern, für eine Diskussion mit dem Thema: Was ist die Blechtrommel für die verschiedenen Generationen?

Ich weiß vor allem, was die Blechtrommel für mich ist, als Schreibende. Das kann und werde ich erzählen. Aber ein Politikum daraus machen? Für mich ist die Literatur ein eigener Raum, hat ihre eigenen Grenzen, kennt keine Staatsgrenzen, ist sich selber Struktur und Halt genug.

Wie dem auch sei, bis Donnerstag heißt es also: eifrig blättern, sich erinnern, Notizen machen. Die Diskussion wird im Artushof stattfinden, vor über 300 geladenen Gästen. Gerade habe ich mich mit der Kuratorin des Festivals getroffen, die mir erzählt hat, dass sie sich gleich ein neues Kleid kaufen geht, für das Abendessen mit Grass und dem Bürgermeister der Stadt. Ich habe meine Lektüreerfahrung und meine Hochachtung für Grass' Literatur. Das muss reichen.

Freitag, 2. Oktober 2009

Zeitläufe

Trotz der eisigen Kälte, die sich gestern Abend in meinem Zimmer breit gemacht hat, bin ich, kaum, dass ich mich hingelegt hatte, sofort eingeschlafen...
Ein Tag wie ein Leben. Erst ein Besuch in Dolne Miasto bei einer überaus munteren deutschen (!) Danzigerin, die mir von der Stadt vor dem Krieg erzählt hat...und, dass sie sich nach wie vor hier zu Hause fühlt. Egal ob als Deutsche oder als Polin. Ein leiser, polnischer Akzent schwang mit, als sie es auf deutsch gesagt hatte...

Für mich hat das sehr viel bedeutet, sehr versöhnt bin ich nach dem Gespräch durch die Innenstadt gegangen.
Danach, kaum ein paar Stunden später, ein Gespräch mit Filip, in irgendeinem Café auf der Piwna, bitterkalt war es, als wir hingegangen sind, und außerdem schon dunkel (der Herbst möchte so tun, als sei schon Winter - ich habe schon die ersten Leute mit Mützen und Handschuhen gesehen! Noch weigere ich mich selber). Zum ersten Mal hat er mir Fotos aus dem Irak gezeigt, Männer in Uniformen, Wüste, brüllende Hitze...und Kinder, immer wieder Kinder, die in die Kamera schrien und lachten, die Augen aufrissen.
Babylon, immer wieder Babylon, eine Kopie des Tores von Ischtar. Wo das Original steht, ist bekannt, Filip hat es sehr kritisiert.

Ich werde bald ein neues Notizheft brauchen, allein der gestrige Tag reicht aus für mehrere Erzählbände und büschelweise Artikel. Und doch wird alles in den Roman fließen... Halt! Nicht zuviel verraten!
Nur noch soviel: Ich kann das Wochenende gut gebrauchen. Und vielleicht wird es etwas wärmer. Vorsichtshalber werde ich mir heute ein Dutzend Kerzen kaufen.