Montag, 31. August 2009

Mural. Piotr Szwabe

Zeichen an der Wand

Große Kunst in Zaspa, und außerdem das große Glück, sie mit einem talentierten Künstler zu begutachten: Piotr Szwabe, selbst Schöpfer einiger der interessantesten Wandmalereien. Mural, Monumental Art: Im wahrsten Sinne haushoch von ordinären Grafittis entfernt. Über die ganze Wand ziehen sich sich da spektakuläre Gemälde, furiose Farbmischungen, Szenen, vor denen Menschen immer wieder stehen bleiben und sie bestaunen.

Künstler haben Zaspa in eine gigantische Freiluftgalerie verwandelt. Sonst eine triste, monotone Siedlung mit etwa 14.000 Einwohnern, hat es eine unheimliche, visuelle Aufwertung erfahren. An dem Haus, in dem Walesa einst wohnte, prangt ein gigantisches, pixeliges Walesa-Antlitz. Je weiter man sich davon entfernt, desto besser sichtbar wird sein Gesicht...

Natürlich sind die Malereien nicht auf einem Fleck, man muss sie sich ersuchen, durch Zaspa schlendern, es langsam kennen lernen, sich immer wieder verlaufen in den ausgedehnten Grünflächen. Und dann belohnt werden von einem gigantomanischen Stück Kunst. Die Ältesten sind übrigens über 10 Jahre alt und halten immer noch - die jüngsten stammen aus diesem Jahr und wurden von internationalen Künstlern angefertigt.
Zaspa, ein klassischer Geheimtip. Zu sehen wird übrigens unser Spaziergang und einiges mehr sein am Dienstag, um 21:45 im heutejournal des ZDFs, außerdem ein Beitrag in den Tagesthemen. Es gibt kein Entkommen.

Hier ein sehr informativer Link über Monumental Art:
http://www.monumentalart.eu/01_Historia/galeria.htm

Freitag, 28. August 2009

und doch

...als ob es mich ein wenig versöhnlich stimmen wollte, haben sich heute das Universum und Danzig ganz in meinem Sinne verschworen. Die Postangestellte hat mich mit "kochanie" angeredet, die Blumenfrau mich angelächelt, obwohl ich nichts gekauft habe, sogar die Frau am Käsestand hat sich überschlagen vor Freundlichkeit.

Dann die klammheimliche Frage: Bin ich paranoid, wenn ich bei soviel Güte misstrauisch werde? Vielleicht kommt der Hammer noch geflogen...?
Zum Beispiel morgen und übermorgen, da wird das ZDF hier sein und mich während meines Alltags filmen. Ich habe demnach auch ohne Rücksicht auf Verluste die Tage geplant: Einmal steht Kayakfahren im Rahmen eines Kunst-Happenings an, dann ein Ausflug nach Zaspa, um die Wandmalereien zu begutachten. Volles Programm also. Und eigentlich soll ich einen Roman schreiben. Vielleicht heuere ich demnächst einen Ghostwriter an, talentierte Schreiber kenne ich genug...

Donnerstag, 27. August 2009

Die Unruhe vor dem Sturm

Noch fünf Tage bis zum 70. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs. Die Vorbereitungen in Danzig laufen auf Hochtouren, seit einigen Tagen meine ich, eine gewisse Nervosität in der Luft zu spüren. Alle Parks werden eifrig geschoren, Bürgersteige werden geschrubbt, auf öde Flecken Erde Grassamen gestreut. Die Stadt bereitet sich vor. Merkel, Putin, Sarkozy, es wird hoher Besuch erwartet.

Diese Nervosität hat sich auch auf mich übertragen. Heute vormittag bin ich mit einem Fernsehteam von der ARD auf der Westerplatte gewesen, in knapp zwei Stunden wurde ein kleines Gespräch und ein Spaziergang gefilmt. Rund um uns herum wuselten die Bauarbeiter, die Gärtner, die Bühnenarbeiter - die meisten waren gerade damit beschäftigt, riesenhafte Buchstaben an ein Gerüst zu befestigen: Nigdy wiecej wojny, Niemals wieder Krieg.
Ein paar Stunden später dann ein Radiointerview mit dem RBB, dem Rundfunk Berlin-Brandenburg, am Wochenende wird das ZDF da sein und ein Feature drehen - "wie das so ist, Stadtschreiber zu sein".

Darüber sollte ich mir beizeiten noch ein paar Gedanken machen. Ich glaube, es sollte entfernt etwas mit Schreiben zu tun haben. Momentan sind meine Nerven so gespannt, dass ich es gerade einmal schaffe, meine Stelle zu verwalten, ich bin mein eigener Sekretär. Nach dem 1. September, so habe ich mir versprochen, wird wieder geschrieben. Solange heißt es Zähne zusammenbeissen. Dann kann man auch nicht mehr so viel Jammern...

Dienstag, 25. August 2009

Papiergeburt

Jedes Mal wieder ein befremdend-beglückendes Gefühl, das, was man Tage, Wochen, Monate zuvor am Laptop geschrieben hat, ausgedruckt in den Händen zu halten. Wenn es durch den Datendschungel nur wie ein diffuser Geist geweht ist, hält man es nun leibhaftig in den Händen, und die Reaktion ist immer dieselbe: Ganz schnell durchlesen, was man da eigentlich geschrieben hat, sich selber kontrollieren, als würde man den zahllosen Lektüren am Bildschirm nicht zur Gänze trauen.

Der Eintritt also des Schriftlichen ins Materielle. Es ist, als ob dadurch selbst das Geschriebene seinen Korpus veränderte: Was zu Papier ward, lese ich meistens um vieles kritischer. Papier als Anspruch, als Anmaßung. Manchmal erscheint mir wirklich, dass das, was der Drucker beizeiten ausspeit, nicht identisch ist mit dem, was ich emsig in die Maschine getippt habe. Habe ich Tage zuvor von dem Körper des Schreibenden berichtet, wäre es nun an der Zeit, über den Körper des Geschriebenen nachzudenken.

Je nachdem, wie man ihn kleidet, bettet, so fallen einem unterschiedliche Dinge auf, profitiert man von der unterschiedlichen Darbietungsweise. Am Bildschirm zu überarbeiten, ist so viel dynamischer, ganze Szenen werden da verschoben, im nächsten Augenblick gelöscht, um sie dann wieder einzufügen.
Aber: Dass in dieser Szene eigentlich Herbst sein sollte, und nicht Frühling, das fällt mir dann doch eher auf dem Papier auf. Es ist ruhiger und zwingt zum genauen Lesen.

Montag, 24. August 2009

Störfrequenz

Und plötzlich bemerkenswerte Bilder dort, wo man sie nicht erwartet hätte; Arglos war ich ins Uphagen-Haus hineinspaziert, wollte mir den Nachmittag mit bürgerlicher Wohnkultur versüßen, und wie ich durch die Flure mit den Barockmöbeln und Biedermeier-Stühlchen spaziere, treffe ich plötzlich auf eine kleine Ausstellung, deren Gemälde ich auf den ersten Blick als epigonale Impressionismus-Spielereien abtue, gefällige Pastelltöne, nette Farbchangierungen, gar nicht unähnlich der "Kunst", die draußen auf der Straße den Touristen verkauft wird. Hübsche Ansichten von Gdansk, das Krantor bei Sonnenaufgang oder die Frauengasse bei Sonnenuntergang.

Dann, mit müdem Blick über die Bilder gestreift, eine Irritation: Irgendwas stimmt hier nicht, und zwar ganz und gar nicht. Die eben noch so einschmeichelnde Darstellung des Langen Ufers...mit fast völlig zerstörtem Krantor, die Bürgerhäuser daneben nur noch eine weggebrochene Zahnreihe. Auf den anderen Bildern, die zerschlagene Peinkammer, das niedergedrückte Hohe Tor, eine Wüste von Stadt. Und alles in Rosa und Flieder, Punkt an Punkt gereiht, so leicht zu übersehen, was hier eigentlich dargestellt wird…

Der Künstler heißt übrigens Ignacy Klukowski und war maßgeblich an der Rekonstruktion Danzigs und der Restaurierung vieler Skulpturen und Gemälde beteiligt. Als hätte Klukowski, bevor er sich an den Aufbau hatte machen können, erst die Vernichtung auf-zeichnen musste.

Samstag, 22. August 2009

Danzig à l'intime

Vor sechs Uhr morgens ist man mit Danzig allein, die Mottlau liegt schlafend da, das Krantor hüllt sich in Schweigen. Barylka und Goldwasser haben die Stühle noch nicht an die Tische gestellt, ein paar Möwen treiben verschlafen auf dem Wasser...

Was für eine wunderbare Option: Wenn man morgens um fünf nicht mehr einschlafen kann, weil einem eine Szene nicht aus dem Kopf geht, die man Tags zuvor noch entworfen hat, in die Schuhe zu fahren, in ein paar hundert Metern an der Brücke zu stehen und noch gar nicht richtig zu begreifen, wo man ist und warum...

Die sagenhafte Leere. Als hätte man in den letzten Tagen einvernehmlich beschlossen, Danzig zu verlassen, und alle wussten davon, nur ich nicht. Man sieht so viel mehr: Die Regenrinnen der Häuser, die Friese, die Schafgarbe, die aus einem Mauervorsprung herauswuchert. Den Leib Danzigs ganz vorsichtig betasten, sich an ihm entlang-tasten, dann, wenn noch keiner guckt, ihn keiner streitig macht und für sich beansprucht. Heute früh um halb sechs hat Danzig mir allein gehört.

Freitag, 21. August 2009

Das Holz und seine Borke

Eine Ausstellung von Jan de Weryha-Wysoczanski in der Galeria Miejska (Stadtgalerie)! Ich habe es mir nicht nehmen lassen, zusammen mit Ines auf der Vernissage zu erscheinen, der Malerin aus Portugal (obwohl sie im ersten Monat schwanger ist, arbeitet sie täglich an den Werken für ihre Ausstellung im November - von ihrer Arbeitsmoral könnte sich so mancher eine Scheibe abschneiden...).Der ausgestellte Maler: Eine Danziger Eminenz, die ihren Hauptwohnsitz allerdings in Hamburg hat.

Die Vernissage das ganz übliche: Ein großes Gedrängel, Gerangel um die Häppchen und die Gläser Weißwein, der Künstler und seine gelächelte Zurückhaltung. Die Werke überraschend wohltuend...ganz sensibel wird da mit dem Material Borke und Holz umgegangen, sich ihm angenähert, es auch formal nachempfunden. Ich fühlte mich stark an Andy Goldsworthy erinnert, da vor allem an "Rivers and Tides"...ordnende, gefühlige Land Art, das war genau das, was ich an dem Abend brauchte.

Leider litten die Ausstellungsobjekte etwas unter der Fülle der Besucher, die versehentlich auf Holzstäbchen traten, Rindenreliefs befingerten und sich an eine Borkensäule anlehnten. Das aber als der inspirierte Moment des Abends: Die Säule thronte in der Mitte des Baumes wie ein Baum, automatisch nahm man an, es müsse sich um einen tonnenschweren Koloss handeln. Als sich der junge Mann daran anlehnte, fing sie sofort an sich zu bewegen und zu schwanken. Ich werde die Ausstellung sicherlich nochmals besuchen, zu einem ruhigeren Zeitpunkt.

Vorahnung in G-Moll

...Agnieszka und ich sind also nach Oliwa gefahren, zu einem Konzert des Mozartiana-Festivals, standen ein wenig ratlos im Park vor dem Palac Opatów herum - die Besucher standen eng an eng, die Bühne mit dem, so vermuten wir, fabelhaften Orchester schien kilometerweit entfernt - und fragten uns, warum es wohl ein lohnendes Experiment sein sollte, keine Verstärker zu benutzen.
Ab und zu wehte der Wind die Ahnung einer Geige, vielleicht G-Moll zu uns herüber... Nach ein paar sehnsuchtsvollen Minuten - Agnieszka hatte sich so auf Mozartklänge gefreut - beschlossen wir, uns bei einer Tasse heißer Schokolade (und das im August!) zu erholen, vorzugsweise im Blekitny Pudel in Sopot. Die Sonne war schon längst untergegangen, es war empfindlich kalt, und so sorgfältig wir uns in unsere Schals hineinverknoteten, wollte uns nicht wärmer werden.

Durch den Park also zurück zum Auto. Dann die unheilvolle Überraschung: Der Besitzer eines wahrlich riesenhaften Ungetüms von Auto hatte uns mit selbigem zugeparkt. Nach einer halben Stunde des Wartens dann die Entscheidung, die straz miejska, so etwas wie die Stadtpolizei, zu rufen. Die kam nach kurzer Weile, war ratlos, wollte nicht den Abschleppdienst rufen, und vollbrachte am Ende das Wunder, unser Auto Millimeter für Millimeter aus seinem Gefängnis herauszubugsieren. Der Verkehr auf der Straße musste auch nur für einige Minuten lahm gelegt werden.

Aga war besorgt, ob ich darüber wohl im Blog schreiben würde, natürlich habe ich sie sofort beruhigt und gesagt, falls ich das täte, würde ich vor allem über die Luft an diesem Abend schreiben: Glasklar, eine Note von Rauch darin, ein Anklang von Humus, ein entschiedener Geruch von Kälte. Aga, sagte ich, wenn ich über diesen Abend schreibe, dann nur als die erste Vorahnung des Herbstes.

Stocznia Gdansk S.A.

Die Welt der Werft

So oft war ich schon am Denkmal der Werftarbeiter, so oft habe ich hinter das Gitter des Tores geblickt und mich gefragt, was sich wohl dahinter verbirgt, wie diese Werft wohl aussehen mag. Nur selten hat man das Glück und die Gelegenheit, hinter dieses Tor zu blicken, etwa, wenn eine Ausstellung auf dem Werftgelände ist, oder eine innovative Theatervorstellung. Sonst ist die Werft für Besucher geschlossen, immerhin werden in ihr noch Schiffe gebaut.

Hätte sich Slawek nicht in den Kopf gesetzt, mir Danzig zu zeigen, und zwar gründlich, wäre es wohl bei diesem weißen Flecken auf meiner Danzig-Karte geblieben. Aber so hatte er etwas Großartiges aufgetrieben: Eine "Subjektive Busfahrt", neunzig Minuten lang quer über das Werftgelände. Der Clou an der Sache: Geführt wird sie von einem ehemaligen Werftarbeiter, der die Tour mit eigenen Erfahrungen und Erlebnissen spickt. Als der Bus los fuhr, in die Werft hinein, kam gerade aus ihrem Innern eine Busladung Arbeiter nach der Schicht. Müde Gesichter, leicht erheitert beim Anblick der Touristen, die sich freiwillig hinein kutschieren lassen.

Auch wenn meine Hoffnung, von einem zotteligen Urgestein durch die Werft geführt zu werden, unerfüllt blieb, war es sagenhaft, Danzig aus dieser so einmaligen und vitalen Verortung kennen zu lernen.Einmal drin in der Werft, blickt man hinaus, nach Danzig. Das Gelände ist so groß und mit allem Lebensnotwendigem versehen, es ist wie eine Stadt innerhalb der Stadt, ein eigener Kosmos. Sicherlich einer der Gründe, warum sich ein so großes Selbstbewußtsein der Werftarbeiter bilden konnte... Von so einer Randlage, einer Außenlage, entwickeln sich zwangsläufig andere Sichtweisen. Und dann, wie bedeutungsschwanger, Gehäuse zu bauen, mit denen man über die Meere, an andere Ufer gelangen kann...

Überall der obligate Wermut, ein paar Lichtnelken, das ganze Terrain ist saftig überwuchert, das Grünzeug verschlingt mit großen Appetit die Metallteile, die überall umher liegen und dem ganzen Gebiet etwas sehr zufälliges, freiheitliches geben. Soll es doch wuchern, wenn es will. Wer sind wir schon, es ihm zu verbieten. In einem der alten Backsteingebäude hat Lech Walesa gearbeitet. Am Ende der Tour sagt unser Führer, dass wir Walesa ja nicht blind verehren müssten, aber seine damalige Rolle anerkennen, das schon.

Donnerstag, 20. August 2009

Der schreibende Körper

Ja, natürlich, Schreiben findet zuallererst und zuallermeist im Kopf statt. Findet dann, durch die Hand wandernd, zum Papier, oder, um weniger zu romantisieren: zum Word-Dokument. Zu denken, diese Körperteile wären die einzigen, die am Schreibprozess beteiligt oder von ihm betroffen sind, greift allerdings zu kurz...

Schriftsteller (wie John von Düffel, u.a.) sind meist hart trainierende Menschen, am Schreibtisch wie im Wasser, auf der Laufstrecke oder im Fitnessstudio. Der Ausgleich zu all dem, was im Kopf geschieht, wird überlebensnotwendig. Es scheint, eine gewisse körperliche Kondition wirke sich ebenfalls auf die Kondition beim Schreiben aus.
Es gibt aber eine Rückwirkung auf den Körper des Schreibenden, die sich weder durch eine vernünftige Sitzhaltung noch durch ausreichendes Training vorhersehen oder beeinflussen lässt, selten hört man davon, gelesen habe ich darüber noch so gut wie gar nichts.

Es ist die Wirkung der Geschichte auf den Körper selber. Je nachdem, was ich schreibe, an welcher Szene ich arbeite, kann sie mich körperlich völlig mitnehmen, auslaugen, aussaugen. Das hat nichts mit der Dauer der Schreibphase zu tun, sondern ganz konkret mit ihrem Inhalt. Einmal, ich be-schrieb den Zusammenbruch eines meiner Protagonisten - damit war auch die Hälfte des ersten Romans erreicht - bin auch ich daraufhin wie auf Kommando zusammengeklappt und erst nach zwei Tagen Fieber wieder aufgestanden.

Schreiben ist nicht nur Kopfarbeit, Schreiben ist körperliche Arbeit, im sehr wörtlichen Sinn. Heute vormittag habe ich eine Szene geschrieben, in der etwas fundamental schief läuft, und schon hat mich ein eigenartiges Gefühl beschlichen, es heute zu nichts vernünftigem mehr bringen zu können. Eventuell sollte ich etwas zu Mittag essen, ich bin mir aber noch nicht ganz sicher. Vielleicht sollte ich besser lesen. Heute früh habe ich ein großartiges Buch beendet, endlich: Die Liebe in den Zeiten der Cholera, von Gabriel García Márquez. Was der Mann während des Schreibens dieses Buches durchgestanden haben muss, möchte ich mir gar nicht vorstellen müssen.

Mittwoch, 19. August 2009

Kulturhauptstadt. Danzig?

Gestern mit Slawek in einem Lokal auf der ulica Piwna gewesen und viel Kaffee getrunken. Slawek arbeitet in einem eigens ins Leben gerufenem Projekt-Büro, dass die Pläne schmiedet, wie Danzig in 2016 Europas Kulturhauptstadt werden könnte. Oder, besser gesagt: Einer von beiden Kulturhauptstädten, denn wenn jetzt schon fest steht, dass eine der beiden Städte eine polnische sein soll, so wird die zweite in Spanien liegen.
Beworben hat sich eine illustre Runde von polnischen Städten: unter anderem Warschau, Lódz und Lublin. Krakau nicht, wie Slawek erleichtert erzählte, Krakau war bereits vor einigen Jahren Kulturhauptstadt.

Nun also sitzen die klügsten, kulturversiertesten Köpfe dieser Städte in ihren Büros und erarbeiteten Konzepte, nicht nur, welche Festivitäten statt finden könnten, sondern wie die Kulturlandschaft ihrer Stadt langfristig bereichern könnten. Eine anspruchsvolle Aufgabe. Als man uns den ersten Kaffee serviert, erscheint es mir jedoch ein Kinderspiel. Danzig müsste doch eigentlich automatisch als Sieger hervorgehen, alles andere wären Formalitäten. Noch Kaffee zwei oder drei stellt sich alles als sehr viel diffiziler heraus. Wenn für mich, als Deutsche, Danzig ganz klar eine starke, kulturelle Konnotation in sich birgt - nicht zuletzt dank Günter Grass - so sieht es in den polnischen Köpfen ganz anders aus.

In Polen, erzählte Slawek, hätte Danzig einen politischen, geschichtlichen "Beigeschmack", mehr als alles andere. Natürlich gäbe es berühmte Autoren wie Chwin oder Huelle, die sich in ihren Werken mit dem Phänomen Danzig auseinandersetzten, aber ganz die jüngste, politische Vergangenheit Danzigs könnten sie nicht übertünchen. Überhaupt, die Einstellung der Danziger selber: Sie selber sähen ihre Stadt am kritischsten. Nichts würde hier passieren, nichts sich verändern, nichts spannendes hervortreten.

Ich verwehrte mich gegen diese Darstellung von Danzig. Hätte ich für mich selber drei Städte innerhalb Polens aufzählen müssen, die ich am stärksten mit Kultur in Verbindung bringe, Danzig wäre hundertprozentig unter ihnen gewesen. Kultur ist mehr als Tanz, Theater, Konzerte. Kultur ist die Gesamtheit aller Phänomene einer Stadt, und von denen hat Danzig wahrlich genug. Und dass Politik und Geschichte mit hinein spielen, ist nicht abträglich, sondern die Basis von all dem.

Dienstag, 18. August 2009

Wrzeszcz / Langfuhr

Rückeroberung der Stadt

Der Jarmark ist vorüber, endlich!
Gestern ging ein spürbares Aufatmen durch die Stadt, als die letzten Stände abgebaut wurden, der letzte Dreck weggefegt wurde, und die Schausteller sich gepflegt in den kleinen Parks hinter der Marienkirche betrunken haben. Ein unglaubliches Gefühl: Man geht die Langgasse hinunter, und hat tatsächlich freien Blick auf die Fassaden und das Pflaster vor seinen Füßen, kein Neon-Plastikspielzeug mehr, keine Frauenunterwäsche in Übergrößen, kein Billig-Makeup mehr, keine Wadenmassierer und Lendenwärmer aus Schurwolle und auch kein Silberschmuck mit giftgrünem Bernstein...

Auf dem Weg zur Post - fast schon gehört er zu meinen täglichen Ritualen, einmal, weil der Platz vor der Post tatsächlich einer meiner Lieblingsplätze ist, und zum zweiten, weil man es in Deutschland mehr als gut mit mir meint - bin ich zwei Obdachlosen begegnet, die in ausgedienten Kinderwägen ihre Habseligkeiten vor sich her schoben. Das war auf der ulica Straganiarska (weil ich mir in letzter Zeit einen Spaß daraus mache, alle Straßennamen auf ihre vormalige Benennung zu untersuchen: es handelt sich um die ehemalige Häkergasse).

Während des anschließenden Spaziergangs habe ich diese heimlichen Gestalten auf beinahe allen Straßen der Innenstadt gesehen: Auf Bänken, in Pärken, Bürgersteigen. Sie haben mich gerührt, in gewisser Weise ging von ihnen eine heilige Friedfertigkeit aus. Und das beruhigende Gefühl: Sie gehören zu Danzig, sind nicht eingespeister Tand, sondern Danziger, Mitmenschen. Einer hatte in seinem Einkaufswagen sein Bettzeug ordentlicher gestapelt, als ich es jemals getan habe.

Sonntag, 16. August 2009

Oliwa. Maria Himmelfahrt

Mit B. in Oliwa gewesen, ganz feierlich war uns zumute, wie wir unter den Bäumen gewandelt sind und an jeder Ecke auf Brautpaare trafen....schwarz für den Bräutigam scheint merkwürdigerweise unmodern geworden zu sein, die meisten der jungen Männer trugen Creme oder Grau. An den Teichen saßen eng umschlungene Teenager und starrten gebannt auf die Paare und ihre Gefolge, ab und zu tuschelten die Mädchen den Jungs etwas in ihre Ohren und kicherten.
Im Teich selber: Ein unentwirrbares Geflecht von hellgrünen Wasserpflanzen, die den Teich beinahe komplett ausfüllen. Ein riesiger Karpfen pflügte durch sie hindurch wie ein Mähdrescher zur Erntezeit, irgendwann blieb er stecken und bewegte sich nicht mehr. Ein altes Ehepaar, das an uns vorbei ging, besprach heimlich, ob man den Karpfen irgendwie dort herauskriegen könnte. Ich glaube, sie verschoben ihre Pläne für später am Abend.

Und dann die Kathedrale...ich liebe es, durch das vorgelagerte Portal in den Innenhof zu treten, eine Vorstufe zum eigentlich Eintritt in das Gotteshaus. Natürlich war eine Hochzeit im Gange, leise setzten wir uns zwischen die Gäste und hörten dem Gesang des Priesters zu. Die Türen der Kathedrale blieben geöffnet, warmer Wind von draußen mischte sich mit dem Geruch der weißen Lilien, die überall angebracht worden waren. Draußen knallte eine Flasche Sekt, unterdrücktes Lachen.
Nach einer halben Stunde waren wir gegangen, B. hatte es noch auf den Friedhof in der Nähe der Kathedrale gezogen. Wir fanden die Gräber einiger Männer, deren Todestag der 2. September 1939 war. In kaum zwei Wochen wird der Ausbruch des zweiten Weltkrieges nun 70 Jahre her sein. Eine abstrakte Zahl. So ein Grabstein ist viel konkreter, als alles andere jemals sein könnte.

Freitag, 14. August 2009

Der Till liegt im Detail

"Trau dich, ins Museum hereinzukommen" - mit diesem Spruch wirbt derzeit der Artushof um Besucher. Nicht nur wegen des Renaissance-Ofens lohnt es sich, ihn zu besuchen, sondern ebenfalls wegen der unglaublichen Wendeltreppe...
Diesmal hatte ich mir mehr Zeit mitgebracht, vor allem den Ofen und seine vielen Antlitze zu studieren. Welche Subtilität darin liegt, welche Könige ausgesucht wurden, den Ofen zu schmücken! Neben sächsischen und polnischen Königen - was mir geläufig war - wird die Front außerdem von Allegorien geschmückt, Eigenschaften, denen sich das Bürgertum, deren Vertreter sich Artushof trafen, besonders nahe wähnte: Vornean die Geduld und die Tüchtigkeit.
Wie ich da immer wieder um den Ofen trippelte und auch das preussische, polnische und das Danziger Wappen in Augenschein nahm, dachte ich, trifft mich der Schlag:
Die exponierteste Stellung im ganzen Ofen nimmt ein: Till Eulenspiegel!
In Danzig genoss er anscheinend eine große Popularität...Was ich gut verstehen kann, Ulenspegel ist eine großartige, literarische Figur. Eine meine Lieblingsepisoden ist, wie er begraben wird, ich bin so frei und bediene mich aus dem Gutenberg-Projekt:

"Bei Eulenspiegels Begräbnis ging es wunderlich zu. Denn als sie alle auf dem Kirchhof um den Sarg standen, in dem Eulenspiegel lag, legten sie ihn auf die beiden Seile und wollten ihn in das Grab senken. Da riß das Seil, das am Fußende war, und der Sarg schoß in das Grab, so daß Eulenspiegel in dem Sarg auf die Füße zu stehen kam. Da sprachen alle, die dabeistanden: »Laßt ihn stehen! Wunderlich ist er gewesen in seinem Leben, wunderlich will er auch sein in seinem Tod.« Also warfen sie das Grab zu und ließen ihn aufrecht auf den Füßen stehn.

Und sie setzten ihm einen Stein oben auf das Grab. Auf die eine Hälfte hieben sie eine Eule und einen Spiegel, den die Eule in ihren Klauen hält, und schrieben oben auf den Stein:

»Disen Stein sol nieman erhaben. Hie stat Ulenspiegel begraben. Anno domini MCCCL jar.«"

Donnerstag, 13. August 2009

Inspiration zu Berge



Wie wunderbar es ist, frisch verliebt zu sein!
Noch heute früh, vor meinem Ausflug auf den Hagelsberg (Góra Gradowa), hätte ich solche Gefühlswallungen nicht für möglich gehalten, hatte höchstens einen passablen Blick auf Stadt und Werften erwartet, ein paar verfallende Kasematten. Und dann war es Liebe auf den ersten Blick, mit allem Drum und Dran: Die Sicht auf Danzig ist viel umfassender als von der Marienkirche aus (eben weil man sie selber mit im Blick hat), atemberaubend, und als ich zum Kreuz aufblickte, das die Stadt Danzig im Jahr 2000 hier aufgestellt hat, schwindelte mir.
Das ist übrigens ein Effekt, der sich wiederholen lässt: Durch die dahinziehenden Wolken über dem riesenhaften Kreuz sieht es wirklich so aus, als wenn nicht die Wolken, sondern das Kreuz sich bewegen würde.
Aber dann: die Klatschmohnwiese, die sich über die alte Festung ausbreitet...was für eine Ruhe und Friedfertigkeit an einem solch historischen Ort, der seit 1000 Jahren durch verschiedene Hände gegangen ist, unter anderem durch preussische.
Die Gewölbe des Forts sind großzügig mit weichem, duftenden Gras bedeckt, verwoben ist es mit Kamillen und Wermut.
Als ich an der Robinie lehnte, die am Ende des Forts trotzig am Abgrund steht und nach Danzig hinunterwinkt, hat es mich wie mit einem Blitz durchzuckt: Dieser Ort wird sich mit Gewissheit einst literarisch wiederfinden lassen.

Mittwoch, 12. August 2009

Obdach

Für Liebhaber von Fachwerkarchitektur: Hinter der großen Mühle befindet sich ein wahres Juwel...darin befindet sich nebenbei ein Immobilienbüro.


Gedächtnis der Orte

Als ich nach Hause gekommen bin, habe ich einen Zettel gefunden, den man mir vor die Tür gelegt hatte: Ein Paket sei für mich angekommen, abzuholen bei der Polnischen Post. Natürlich bei der Polnischen Post, wo denn sonst, dachte ich, bis ich genauer auf den Abholschein schaute: Mein Paket wartete in der Polnischen Post auf mich. Erst vor Ort konnte ich es glauben: Bislang hatte ich gedacht, in dem massiven, ausladenden Backsteingebäude sei einzig ein Museum, aber tatsächlich ist dort nach wie vor eine reguläre Poststelle untergebracht. Die Fahnen der polnischen Post an der Eingangstür sind keine Dekoration.
Merkwürdig feierlich war mir zu Mute, als ich über den weiten Platz auf die Post zu ging, den gelben Zettel in der Hand. Kein Foto habe ich geschossen, wie die anderen Touristen, die dahin gefunden hatten, nicht vorsichtig bin ich um das Gebäude herum gestakst, schnurstracks bin ich durch die Eichentür hindurch und ins Innere. Eine Post wie eine Burg...
Und dann am Schalter: Ein vergrämtes Mütterlein, umgeben von vergilbten Umschlägen, Kaffeepackungen, Melissetee, Grablichtern, Spitzentischdeckchen, Glitzeraufklebern. Nur ungern ließ sie sich von mir und meinem Zettel stören. Aus welchem Land wurde das Paket verschickt?
Ich weiß es nicht, antwortete ich, ich habe es ja noch nicht bekommen.

Plötzlich ein Knall von draußen, deutlich drang er durch das angekippte Fenster des Mütterleins. Er ging mir mitten ins Mark, ich zuckte zusammen. Dann, natürlich, die Erleichterung: Es war bloß ein Reifen, ein Luftballon, irgendetwas. Für einen Moment hatte ich mich besessen gefühlt vom Gedächtnis' des Ortes, als würde sich die Post erinnern, ihr Trauma mit sich tragen und kontinuierlich ausstrahlen.
Ähnliche Beklemmung hatte ich gespürt, als ich vor Brösen riesige Schiffe kreuzen sah. Soll ich mich dafür schelten? Ich bin der festen Überzeugung, dass Orte eine Erinnerung in sich tragen, wie Menschen, und wie bei Menschen kann man sie herausfühlen. In Danzig ist das sehr viel. Da erstaunt es nicht, dass man manchmal sehr müde nach Hause kommt.
In dem Paket waren übrigens ein paar Tafeln Schokolade und ein eng beschriebenes Papier. Das Paket kam aus Deutschland.

Montag, 10. August 2009

Meer sehen

Die Flucht vor den Menschenmassen ist nur bedingt geglückt. Wenn die eine Hälfte der Danziger und sämtlicher sich in der Region befindender Touristen sonntags nach Sopot pilgern, zieht es die andere Hälfte nach Brzezno (Brösen).
Schon von der Straßenbahnhaltestelle schoben sich ganze Kolonnen in Richtung Strand, vorbei an Gofry- (Waffeln), Lody (Eis-) und Ryby-(Fisch-) Ständen. Eine alte Frau, von der ich mir nun einbilde, sie sah aus wie eine Fischersfrau, verkaufte geräucherte Flundern, leider habe ich mich getraut, mir eine zu kaufen. Ein Grund, zurückzukehren.

Und dann also der Strand. Hatte durchaus Ähnlichkeit mit der Ulica Dluga (Langgasse) in Gdansk, nur dass die Leute lagen, sich nicht schwerfällig in Richtung Neptun schoben, und generell weniger anhatten. Das Meer selber: Unbeeindruckt, ruhig, dunkel...nach anfänglicher Verzweiflung hatte ich doch einen halben Quadratmeter freien Platzes gefunden und mich für ein paar Minuten hingesetzt. Schön, wie die Danziger Buch Brzezno umarmt....nach lings hinaus ging die Promenade weiter nach Jelitkowo (Glettkau), wo sich früher die Mole befand, heute ist sie in Brzezno. Anders als in Sopot muss man nicht bezahlen, um sie zu betreten.

Als ich mich satt gesehen hatte, schulterte ich meinen kleinen Rucksack und ging ein paar hundert Meter weiter ostwärts, erst am Strand, dann wieder gen Promenade und Wäldchen.
Plötzlich wurde das Pflaster bucklig, alte Linden säumten die Wege, und als ich aufsah, befand ich mich unversehens in einem Fischerdorf von Anfang des 20. Jahrhunderts. Kleinteilige Backsteinbauten, einige Kurhäuser, Zahnfriese. Gewundene Straßen, hinter den Holzzäunen meterhohe Bechermalven. Was für ein Gegensatz zum Strand, der nur wenige Meter davon entfernt war....Friede, einfach so.
Dahinter freilich klotzig-hässliche Wohnblocks, die mit ihrer überbordenden, physischen Präsenz drohen, das alte Fischerdorf ins Meer zu stoßen. Es ist alles eine Frage des Blickwinkels. Vor allem in Brzezno.

Sonntag, 9. August 2009

Nur in deinem Kopf

Vorgestern im Theater gewesen, gestern im Atelier von Ines. Einmal eine monologische Vorstellung der Geschichte des Theater mit Shakespeare-Versatzstücken, einmal eigenwillige Kohlezeichnungen von Grenzsteinen und Genitalien...
In beiden Fällen, sichtbare Kunst, nach außen getragene Konzepte, die visuell (natürlich nicht nur) rezipiert werden können - für einen kleinen Moment hat mich der Neid gestreift, und der aberwitzige Gedanke, zum Telefon zu greifen und Herrn S. in P. anzurufen und kundzutun: Das mit dem Schreiben über Danzig habe sich erledigt, nun werde Danzig gemalt und performativ dargestellt.

Diese Idee habe ich dann rasch wieder verworfen, und doch blieb ein bittersüßer Nachgeschmack. Als Schriftsteller ist man hauptsächlich allein. Natürlich, man kann im Café schreiben, aber das ist es nicht. Die Ideen und Texte bleiben bis zuletzt, und schließlich auch nach ihrer Fertigstellung, nur alleine erfahrbar. Im Kopf.
Um es dort auszuhalten, in den Monaten des Schreibens, muss man es sich bequem dort einrichten. Trotzdem bleibt es nicht aus, dass man es früher oder später nicht länger aushält, im eigenen Kopf.
Heute plane ich die Stadt- und Kopfflucht, raus ans Meer. Vielleicht gelingt es mir.

Freitag, 7. August 2009

Synaptische Labyrinthe

Morgens erste Schreibversuche an einer möglichen Szene, sehr intensiv, bis weit nach Mittag. Dann hinaus in den Sonnenschein und in den Wind, der in Danzig immer weht, und das plötzliche Erstaunen darüber, an dem Ort zu sein, über den man schreibt. Als wenn man gar nicht richtig aus seinem Kopf heraus gekommen wäre, und sich aufgrund einer eigenartigen Fehlschaltung der Synapsen weiterhin in den Labyrinthen seines Gehirns bewegt.

Ich kann es kaum erwarten, am Wochenende einmal herauszukommen aus der Danziger Innenstadt: Wenigstens bis nach Oliwa soll es gehen, in den Park, oder ans Meer, ein bisschen Weite genießen. Eine Freundin hat mich in die Kaschubei eingeladen, ich bin sehr versucht. Auch das steht noch auf meiner Liste: Das Umland erkunden, in dem Danzig eingebettet liegt. Oft sagen Umgebungen mindestens genauso viel über die Stadt aus wie die Stadt selber.

Donnerstag, 6. August 2009

Wielki Mlyn / Große Mühle




Heute erbost von einem Spaziergang durch die Altstadt zurück gekommen, sonst eigentlich eines der Gebiete in Danzig, die mir sehr lieb sind: Am Kanal Raduni/Radaune-Kanal entlang, sich unter eine der Weiden setzen und die Nase in ein Buch stecken...

Vor allem für Liebhaber von (großen) Backsteinbauten ist die alte Mühle eine wahre Pracht, so auch für mich. Lange Zeit konnte ich mich daran nicht satt sehen, und habe mir absichtlich einen Besuch des Inneren vorerst versagt .... um ja kein Detail des Äußeren zu verpassen, nichts unbesehen zu lassen.
Dann heute die grandiose Idee, sich nun endlich das "centrum handlowe", das Einkaufszentrum, das sich im Innern der Mühle verbirgt, in Augenschein zu nehmen.
Schwer, die Regungen, die beim Hineingehen auftreten, in eine Ordnung zu bringen: Migräne-Anfall, der dringliche Wunsch, sofort rückwärts wieder hinauszugehen, wegrennen.
In der großen Mühle wird Ramsch verkauft, es stinkt nach Plastik, und: es ist leer, einzig ein paar enttäuschte Touristen tapsen umher. Wenn ich den ganzen Ramsch und Kitsch auf dem Jarmark geschluckt habe, dann vor allem deswegen, weil er in zwei Wochen wieder vorbei sein wird. Aber muss man wirklich ein solch prächtiges Gebäude wie die große Mühle derart entweihen?
Ich denke an die Tuchhallen in Krakau, was dort verkauft wird, ist ebenfalls nichts, was es nicht woanders auch gebe. Aber wenigstens macht es nicht die Augen tränen.

Mittwoch, 5. August 2009

Island in the Sun



Heute ein Streifzug durch Danzig mit zwei ungeheuer intelligenten Frauen: Ines, einer portugiesischen Malerin, und Agnieszka, einer polnischen Kulturwissenschaftlerin. Ines' Ehe ist ein besonders interessanter Fall: Sie folgt nicht dem Muster, polnische Frau, ausländischer Mann, sondern genau umgekehrt, vor vier Jahren hat sie in London ihren Radek geheiratet. Und lebt nun in Gdansk.
Die Polen, sagt sie, seien sehr aufgeschlossene Menschen, gastfreundlich und überschwänglich. Auch wenn sie wegen ihres Tatoos und ihres Akzentes komisch angeschaut wird. Neulich in der Bar habe ihr jemand vorgehalten, dass es in Portugal so viele Schwarze gebe. Da hat sie sich auf dem Absatz umgedreht und ist gegangen.-

Gemeinsamer Ausflug auf die Speicherinsel, später. Ihre Ruinen ragen weit in den Danziger Himmel, ich dachte bislang, man ließe sie bewusst stehen, gleichsam als mahnende Erinnerung daran, wie die Stadt nach dem Krieg aussah. Agnieszka hat mich ausgelacht, mich naiv genannt und idealistisch. In Wirklichkeit, sagte sie, könnten sich die Besitzer der Grundstücke auf der Insel nicht zusammenraufen, nur einiges gehöre der Stadt, der Rest sei in privater Hand. Eigentlich wolle man das Flussufer um moderne Architektur bereichern.
Sind Ruinen so unmodern?

Dienstag, 4. August 2009

Was schön ist

An einem Antyki-Stand auf der ulica Straganiarska: Das leise Klirren der Kronleuchter im Wind

Schrittlenkung in der Marienkirche



Bravo Milord

...gerade schiebt ein Obdachloser sein vollbepacktes Wägelchen unter meinem Fenster vorbei, ich beuge mich hinaus und höre ihn singen: Laissez-vous faire, Milord, venez dans mon royaume.
Er trägt ein fadenscheiniges, mit Muscheln besetztes Goralen-Hütchen, seine Stimme füllt mein Zimmer aus. Überhaupt: Danzigs Gesicht in einem Park, 100 Meter vom brodelnden Stadtzentrum entfernt. Während des morgendlichen Kaffees habe ich innerhalb von zehn Minuten mehrere Menschen beobachtet, die hintereinander denselben Mülleimer untersucht haben. Einer hatte eine besonders ausgefeilte Technik: Mit einem langen Stab durchwühlte er auch die Glas- und Altpapiercontainer.

Im Park, in einem dichten Wacholdergebüsch, wohnt außerdem ein schwarzer Kater. Ich beobachte ihn dabei, wie er sich von alten Damen mit alten Brötchen füttern lässt. Ich glaube, es geht ihm gut. Vorhin ist er über den Rasen gejagt, einer Phantom-Maus hinterher.

...und noch etwas, was ich nur im Blog schreiben kann, in einem Roman kämen sofort Beanstandungen, wie konstruiert und klischiert das Bild wäre: Ebenfalls während des morgendlichen Aus-dem-Fenster-Starrens wurden drei Schornsteinfeger gesehen. Sie gingen über die Straße, einer bückte sich und versuchte den schwarzen Kater anzulocken. Der Kater erstarrte und verschwand im Wacholder. Die anderen beiden Schornsteinfeger lachten.

Klub Pisarza

Gestern Abend, eigentlich war der Tag schon vorbei, saß ich noch im Klub Pisarza, gleich bei der Bazylika Mariacka. Auf der Karte der Bar steht, dass sie sich durch ein ganz besonderes Krakauer Flair auszeichnet. Die Wände sind demnach auch dunkel gestrichen, es hängen ein, zwei groteske Dinge an der Wand, und in der Ecke steht eine Büchervitrine. Dennoch: Krakau bleibt Welten entfernt.
Der Plan ist, sich so schnell und so gut wie möglich mit Danzig bekannt zu machen. Eine dumpfe Vertrautheit möchte ich aber vermeiden, ein Quentchen Befremdung, eine Prise Abstand hat noch jedem Text gut getan.

Der Wind hat Ostseeluft zu den Tischen des Klubs herübergeweht, und mit meiner Begleitung habe ich über Grenzgebiete geredet, über afrikanische Stammeskunst und die Kaschuben, Ein Bier später über die Großeltern, Eltern und schließlich die Kinder. Noch bevor mehr Bier konsumiert war, habe ich gewarnt: Seine Geschichten vor einem Schriftsteller auszubreiten, bleibt immer ein Fährnis. Man winkte ab, der Roman wird noch auf sich warten lassen. Mit dem Blog hat man nicht gerechnet. Nennen wir also meine Begleitung Malgorzata, und gehen wir davon aus, dass Malgorzata ebenfalls aus einer deutsch-polnischen Familie stammt und diese Region Polens par excellence präsentiert. Malgorzata lebt nicht in Danzig. Jedenfalls nicht im Text dieses Blogs. Wer weiß, wie es in späteren Fassungen aussehen wird. Was jetzt noch Bestandsaufnahme ist, unterläuft bald schon einer Fiktionalisierung.

Straight Slavic Flavour

Gdańsk w CNN, największa kampania reklamowa miasta



Montag, 3. August 2009

Jetzt

....ist es offiziell: heute nachmittag war die Presse-Konferenz, in der ich als Stadtschreiberin vorgestellt wurde. Es war so polnisch, wie ich es mir erhofft hatte, schon nach wenigen Minuten hagelte es Umarmungen und Einladungen zu Heiligabend. Ein eiliger Blick auf meinem Kalender bestätigte, dass erst August ist. Zeit, aufzuatmen. Und zu schreiben: Morgen geht es los, die kostbare Zeit des Morgens nutzend. An einem Nachmittag, habe ich mir einmal sagen lassen, ist noch nichts großes entstanden.

Am Fenster

Seit zwei Tagen bin ich hier, und seit zwei Minuten habe ich zusätzlich zu meinem Fenster zu Danzig ein Fenster zur Welt: Internet! Gerade waren Michal und ein sehr schüchterner Techniker da, haben heimlich im Flur geflucht und viel mit Kabeln gewirbelt. Wasser wollten sie nicht, auch Kaffee haben sie abgelehnt, das muss an einer Art ungeschriebenem Höflichkeitskodex liegen, den mitbekommt, wer in Polen geboren wurde und aufwuchs.
Mit dem Pfund kann ich nicht wuchern: Als Halb-Polin, Ganz-Hybridin, bin ich in Deutschland aufgewachsen. 



Du sprichst aber gut Polnisch, hat Michal zum Abschied gesagt, und einen schnellen Blick auf meinen mit Büchern und Broschüren zugestellten Schreibtisch geworfen, und ich hatte abgewunken. Ich schreibe auf Deutsch, auf Polnisch könnte ich es nicht. Auch die Texte, die hier entstehen werden und schließlich das, was man Roman nennt, werden auf Deutsch sich entwickeln.-

Draußen scheint die Sonne, Danzig hat sein Sommerkleid angezogen, und Blumenfrauen haben mein Auto umstellt, bis heute Abend also bleibt es umrankt von Nelken und Sonnenblumen. Möwen zerschneiden den Himmel, ich werde sie vermissen, das weiß ich schon jetzt.
Jetzt also: Das Blog. Eine eigentümliche Vorstellung: Dass andere lesen, was man sonst für sich, kaum eingestanden, in Heftchen notiert und schon nach einigen Monaten kaum mehr entziffern kann.
Viel anders möchte ich es aber nicht halten müssen. Meine Texte unterlaufen Dutzenden von Abänderungen und Überarbeitungen, der Blog soll freier sein, unmittelbarer. Mit dem heutigen Tag geht es los, er ist der Startschuss ins Stadtschreibertum und in das Blog hinein.