Mittwoch, 30. September 2009

Eigenleben

Ein weiteres Fragment der Stadterzählung im Blog, das kann nicht schaden, das kann höchstens zeigen: Das tut man hier, während man in Danzig ist und Stadtschreiber.
Vor allem aber plant man den Roman, sehr detailliert mittlerweile, schreibt erste Szenen, hat sogar schon einen Titel, der streng geheim ist. Um Kopf und Kragen plant man sich, ist einmal überzeugt von seiner Größe, einmal vom abgrundtiefen Schwachsinn des Ersonnenen. Nein: Im Grunde habe ich diese Phase längst hinter mir gelassen, bin überzeugt vom Rahmen meines Romans, jetzt kann nur noch an Details, an Gestaltungsfragen gemosert und geändert werden. Es gibt einen Punkt in der Planungsphase eines jeden Romans, an dem man nicht zurück kann, und auch nicht zurück sollte, sonst droht der fatalste aller Fälle: Dass man aufhört, zu schreiben. Das muss um jeden Preis vermieden werden.
Bevor es soweit ist, dass ich ein paar Seiten aus meinem zweiten Roman präsentiere, hier also ein weiteres Häppchen "Beiwerk", die Thematik passend zum heutigen Blog-Eintrag. Wer sich Sorgen gemacht hat: Meinem Zahn und mir geht es wieder gut, gutes Zureden und ein wenig Bohren haben Wunder gewirkt!


"Der Text verwehrt sich mir, schon seit einigen Tagen ringe ich mit ihm und ringe gegen ihn nach Worten. Heute Morgen dann hat er gewonnen, schmiss mich aus der Wohnung hinaus, er brauche nun Zeit für sich und könne mich für eine Weile nicht mehr sehen. Ich gehe durch die Straßen – in der Dominikanska biege ich ab Richtung Podwale Miejskie, wohin ich gehe, weiß ich nicht genau – und versuche zu begreifen, was geschehen ist.
Noch vor einer Woche meinte ich genau zu wissen, wo es mit ihm hingeht, ich führte ihn sicher an der Hand, entwickelte ihn, fing sogar an, ihn zu gestalten, als er sich plötzlich aufbäumte und sich mir von seiner abscheulichen Seite zeigte: der Langeweile. Seitdem hatte ich versucht, ihn zu heilen, herauszufinden, woran er krankte, aber je länger ich an ihm herumoperierte, desto unwilliger wurde er und schließlich hörte er gänzlich auf, sich mir mitzuteilen. Von einer Minute auf die andere verstummte er, hörte auf zu zappeln und sich zu recken, wie ein Käfer, der vor Schreck vorgibt, tot zu sein, streckt er, um mich von seiner Todesstarre zu überzeugen, seine Gliedmaßen von sich.
Ich ließ ihn also liegen, etwas angeekelt zwar und unangenehm berührt, aber fing dennoch an, an etwas anderem zu schreiben, solange, dachte ich, bis er von selber wieder aufwachen würde und sich mit leiser Stimme melden: Hör mal, ich bin doch nicht tot, ich hab nur so getan! Als er sich endlich aussprach, war er lauter und ungehaltener, als ich erwartet hatte. Unverantwortlich sei ich, undiszipliniert auch, aus diesen Gründen habe er nun den endgültigen Rückzug beschlossen, innere Emigration nenne man das, und bevor er mich aus der Wohnung schmiss, sagte er noch, dass ich nun nicht mehr viel von ihm erwarten könne.
Ich halte sein Verhalten für übertrieben, und während ich schon in der Straganiarska bin und die Pappeln röten sehe, denke ich, dass ich mir all das nicht gefallen lassen muss. Ich spitze meinen Bleistift, die grauen Flusen fallen auf den Bürgersteig."

Montag, 28. September 2009

Zusatz

...und hier endlich der Link zu Grzegorz Kwiatkowskis "Eine kleine Todesmusik", ein schmuckes E-Book zum Herunterladen: kwiatkowski_ebook.pdf
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors

Herbst, langsam

Es wird nun immer kälter.... gestern Abend habe ich zum ersten Mal mein wollenes Jäckchen angezogen, damit ist wohl der Herbst offiziell eröffnet. Dabei ist es tagsüber ganz erstaunlich warm gewesen, wie ein letzter Gruß des Sommers. Ich bin sehr gespannt, was mich nun erwartet. Ich warte noch immer auf die Auswechslung meiner
(Holz-)Fenster, die man mir versprochen hat. Es bleibt spannend...

Heute übrigens eine authentische Danzig-Erfahrung der etwas anderen Art: Ich muss zum Zahnarzt. Irgendwelche Empfehlungen?

Samstag, 26. September 2009

Frei

Seit längerem endlich wieder ein dreistündiger Spaziergang... wahllos quer durch Wrzeszcz, wunderbare Straßen und Gassen habe ich entdeckt, bis ganz nah heran an den Waldrand. Oh ja, hier würde ich mir ein Plätzchen zum Leben und Wohnen suchen, wenn ich länger bliebe!
Der Geruch von Stein und Wald liegt hier in der Luft, Katzen, die lautlos durch die Gärten huschen, kleine Kneipen, die man auf den ersten Blick gar nicht als solche erkennt: Weil sie in einer Garage sind, in einem Gartenhäuschen...
In einem Zimmer mit Parkett und Erker würde ich wohnen, und den Schreibtisch so nah wie möglich ans Fenster heran schieben, bis ich fast die Kastanie, die vor meinem Fenster wüchse, berühren könnte...

Als mich vor einem Monat der Berliner Rundfunk gefragt hat, ob ich mich schon in Danzig verliebt hätte, musste ich rumdrucksen und nach Worten suchen. Heute würde die Antwort anders lauten: Ja, ich habe mich verliebt - aber nicht in Danzig, sondern in Wrzeszcz!

Donnerstag, 24. September 2009

Zweierlei

Es gibt einen Grund, warum meine Spaziergänge und Streifzüge durch Wrzeszcz und die Untere Stadt in letzter Zeit etwas abgenommen haben (dennoch hat es gestern zu einem Bier in Nowy Port gereicht, unerkannt war ich, Polin - nicht aufgesetzte Stadtschreiberin, noch dazu aus Deutschland): Es gibt wahrhaft viel zu tun.
Von dem Blog sei keine Rede, nur soviel zu meiner Tätigkeit: Die Stadterzählung, von der ich neulich ein Fragment im Blog veröffentlichte, ist nicht das Hauptwerk, für das ich hier in Danzig recherchiere! Die Stadterzählung ist Beiwerk, eigentlich bin ich hier für den Roman. Dass mir das genannte und noch mehr soviel Zeit raubt, dass ich nurmehr zum recherchieren und konzipieren komme, ist nun jetzt einmal so.
Ich kann es selber kaum erwarten, endlich mit dem eigentlichen Schreiben zu beginnen. Allerdings: Es würde mich nicht wundern, wenn ein gewisser Abstand zu Danzig und seinen Gestalten dazu notwendig wäre. Danzig, ich habe es immer wieder gesagt, ist weder so einfach noch so gefällig, wie es sich in seiner Altstadt gibt.

Neue Dichter braucht das Land

Grzegorz Kwiatkowskis Augen blitzen im Licht der Spätsommersonne. Es ist das Blitzen der jüngsten, polnischen Lyrik: Kwiatkowski ist in Polen kein ganz unbekannter Name mehr - die Presse titelt: das enfant terrible der jungen Literatur - er hat bereits mehrere Gedichtbände herausgegeben und veröffentlichte in den wichtigsten Zeitungen Polens.

Ab und zu treffen wir uns zu einem Kaffee, reden über Romane und Lyrik, und es ist mir eine Ehre, erste Übersetzungen aus seinem rasant wachsenden Werk in meinem Blog vorstellen zu dürfen.
Hier also zwei Gedichte (die Originale sind im polnischen Blog zu finden), und ganz bald wird hier ebenfalls das e-book seines neuesten Bandes zu finden sein. Seine Homepage befindet sich hier: kwiatkowski.art.pl.


Künstler

beim Spaziergang am Fluss erblickte er eine Nymphe
im weißen Gewand mit Tang durchwirkt

gleich ist er nach Hause gerannt um Leinen Farben Pinsel zu holen
und kam an den Fluss zurück wo er bis zum Abend mit Blicken fischte

die Bewohner des Städtchens wunderten sich sehr über ihn
doch er sah, wie sie fünf Zentimeter über dem Wasser schwebte

das Bild wurde in der Sankt-Georgs-Kirche in Tinben aufgehängt
wo man es bis zum heutigen Tag bestaunen kann:

Maria Himmelfahrt
Gemälde aus dem Jahr 1680
Künstler: unbekannt


Ersatzlicht

es ist offensichtlich
dass man schreiben sollte über einen Stein einen Baum
die Form eines Hauses oder das Gesicht der Mutter

wenn ihr in den Gedichten
über Miłosz Pollock Rimbaud und Kafka lest
wisset, dass der Autor ein literarisches Solarium besucht hat

auf dem Schild des Solariums heißt es:
"Ersatzlicht für alle "
"besonders förderlich für Künstler also Ungeliebte"

Sonne wurde durch Druckfarbe verdeckt
Spaziergänge durch Beschreibungen der Landschaft ersetzt
Liebe verwandelte sich in billige Romanzen

es ist offensichtlich

Dienstag, 22. September 2009

Die neue Grundlage

Eigenartigerweise sagt mein neuer Teppich etwas über den Roman aus... nun traue ich mich kaum mehr, ihn zu betreten.