Samstag, 31. Oktober 2009

Die Marienkirche und Ich

Schriftsteller haben die Angewohnheit, zu starren. Stundenlang, gegen die Wand, in eine Kaffeetasse, auf den Laptop, vorzugsweise aber aus dem Fenster. Ich würde behaupten, dass ein Schriftsteller mehr aus dem Fenster starrt, als dass er schreibt, behauptet also jemand, fünf Stunden lang geschrieben zu haben (was ohnehin unmöglich ist, am Stück), sage ich: Ja, aber davon hast du drei Stunden aus dem Fenster gestarrt!

Auf dem Blog habe ich nun schon zahlreiche Fotos der Aussicht aus meinem Fenster veröffentlicht, Fotos von dem kleinen Park und der Marienkirche, die sich hinter ihm auftürmt. Jeden Tag guckt mir ihr ummantelter Turm - der Turm wird gerade restauriert und ist deshalb eingepackt in Stoffplanen, die im vergangenen Sturm trotzdem die herunterfliegenden Backsteine nicht abhalten konnten - über die Schulter, guckt mir beim Schreiben zu.

Ohne pathetisch werden zu wollen, ist sie mir tatsächlich so vertraut geworden, und nicht nur dass: Fast schon ein notwendiges Schreibutensil ist sie geworden, etwas, mit dem ich mir einbilde, mich besser konzentrieren zu können, länger am Schreibtisch verharren zu können, wacht die Kirche doch über mir und kontrolliert eifersüchtig meine Arbeitszeit.

Die Marienkirche. Mittlerweile kenne ich sie genau, kenne ihre Ein- und Ausgänge, ihre Portale, die abgewetzten Steinplatten, die Kapellen, die Uhren, die Holzskulpturen, den Altar. Ich fühle mich in ihr zu Hause. Wenn ich meines Schreibtisches überdrüssig werde, meine, nicht genug Zeit zu haben für einen Spaziergang oder eine Stadtflucht, gehe ich hinüber und drehe einige Runden in der Kirche, jedes Mal ein neues Detail entdeckend.

Was werde ich bald schon ohne sie tun? Ich denke über eine Fototapete nach. Irgendwie muss dieses Problem doch zu lösen sein.

Donnerstag, 29. Oktober 2009

Gdynia

Kurze Stadtflucht hinaus nach Gdynia - aus der Stadt in die Stadt. Gdingen, Gotenhafen, Gdynia - eine stürmische Geschichte, und der Sonnenschein von gestern nahm sich denn auch wie ein Anstrich aus, der schwerlich die Geschichte des Ortes und das sonstige, klimatische Temperament verdecken konnte.

Die Zeiten als ruhiges Fischerdorf: welch ein Gegensatz zu der Rolle, die ihm einst im 20. Jahrhundert zufallen sollte. Mir drehte es regelrecht den Magen um, als ich am Hafen stand, ins tintenschwarze Wasser starrte und daran dachte, dass vor gut 64 Jahren von hier die Wilhelm Gustloff startete, mit über 10.000 Menschen an Bord, die meisten von ihnen Flüchtlinge, Zivilisten - und die allermeisten von ihnen sollten ihr Ziel, Westdeutschland, nie erreichen.
Das sowjetische U-Boot S 13 setzte ihrer Reise ein Ende. Jene Versenkung gilt bis zum jetzigen Zeitpunkt als größte Katastrophe in der Geschichte der Seefahrt... (Zum Vergleich: Beim Untergang der Titanic - wenn auch schwerlich zu vergleichen - starben etwa 1500 Menschen)

Vielleicht ist es mein persönlicher Respekt vor dem Wasser, das Misstrauen, das ich diesem Element entgegenbringe, das mich hat am Hafen regelrecht gefrieren lassen.
Vielleicht aber lese ich auch zuviel, bevor ich an Orte gehe, und weiß dann Dinge, wie, dass, um eine Panik zu vermeiden, Soldaten auf der Gustloff über 1000 Menschen mit Waffengewalt im Wintergarten festgehalten hatten. Keine Chance zu entkommen, sich zu retten - und dass, obwohl das Schiff schon im Sinken begriffen war. Um das Drama zu vervollkommnen herrschten draussen Temperaturen von minus zwanzig Grad und das Schiff war nur unzureichend mit Ruderbooten (!) ausgestattet...

Kein entspannender Ausflug also, und dass, obwohl Gdynia heute eine sehr lebhafte Stadt ist, mit breitem kulturellen Angebot und schönen Cafés entlang der Uferpromenade... Dieses Mal besaß ich leider nicht die nötige Seelenruhe, um mich dort niederzulassen und auf die Bojen und Möwen im Wasser zu schauen. Hoffentlich ein ander Mal, Gdynia hat als Stadt einen besseren Eindruck definitiv verdient!

Dienstag, 27. Oktober 2009

Zeitzeugen aus Papier

Gestern war ich im Danziger Archiv - unweit des Werfteingangs - und habe mich durch allerhand alte Stadtführer über Danzig gewühlt. Der älteste war ein schlichter Bildband von 1897, weitere Bücher priesen die Vorzüge der alten Hansestadt an, wieder andere betonten ihre Problematiken, etwa die der beengten Wohnsituation.
Faszinierend, vor sich auf dem Tisch gleich dutzendweis verschiedene Perspektiven und Meinungen aus verschiedenen Jahren zu dieser Stadt zu haben.
(Leider war ausgerechnet jener Stadtführer, nach dem ich gesucht hatte, nicht vorhanden...)

Eigentümliche Atmosphäre in dem Gebäude und im Arbeitsraum - nicht zu vergleichen mit der Bibliothek eine Straße weiter, die ein ganz wunderbarer Ort ist zum Arbeiten.
Aber immerhin: Der Arbeitsraum war voll, die Konzentration waberte über den Köpfen der Leute, fasst konnte man sie berühren. Dieses Bild hat mich immer wieder von meinen Stadtführern aufsehen lassen: die Köpfe, die dicht über alte Bücher und Karten gebeugt waren, sich kaum bewegten.

Obwohl ich nicht genau gefunden hatte, was ich suchte, habe ich doch einige Ansätze zur Wohnsituation und Bebauung der Vorstadt gefunden...heute steht dann wieder eine Terrainbegehung an, Feldforschung. Für mich ist es natürlich wichtig, um die Geschichte der einzelnen Orte zu wissen - als Fundament, gleichsam. Wichtiger sind aber Inspiration und Geschichten, die mir die Orte heute geben.
Und die Bäume am Wallplatz, rund um die Reste des alten Springbrunnens, müssen heute in grellem Gelb und Rot leuchten. Es ist Herbst, und der will erlebt werden!

Sonntag, 25. Oktober 2009

Kunst und Kultur

Nach fast drei Monaten muss ich mich nun, Ende Oktober, an ein Gespräch erinnern, dass ich mit einem Bekannten Anfang August geführt habe, in einem Café auf der Piwna - in jenem Café, in dem sich alle immer treffen und Kaffee trinken (das wusste ich damals noch nicht und dachte, ich hätte etwas entdeckt).

Der ungefähre Wortlaut war wohl, dass sich in Danzig, vor allem im Vergleich mit anderen Städten derselben Größenordnung, wenig tut, im Kunst- und Kulturbereich. Überhaupt sei das keine besonders kulturelle Stadt, viel eher politisch, wirtschaftlich konnotiert. Damals habe ich diese Meinung verblüfft geschluckt, hatte überlegt, ob es wohl stimmen könnte und falls ja, warum.

Jetzt, nach drei Monaten, schüttele ich den Kopf, wenn ich an dieses Gespräch zurück denke.
Allein von meiner Wohnung aus, in einem Umkreis von 500 Metern, findet sich soviel, dass ich gar nicht zu allem komme.
Die großartige Städtische Galerie auf der Piwna mit immer neuen Ausstellungen, die etwas wagen und zeigen wollen, nicht nur wiederholen; die neu eröffnete Grass-Galerie auf der Szeroka, wo nicht nur Kunst vom Meister gezeigt wird, sondern auch Vorträge und Diskussionen statt finden; und, um den Dreischritt zu vollenden, auf der anderen Seite des Flusses, das Zentrum für zeitgenössische Kunst Laznia: Auch dort alle naselang neue Ausstellungen, happenings, Aktionen.
Und das war nur eine kleine Auswahl.

Nach drei Monaten muss man einfach feststellen: In Danzig geht was. Man muss nicht einmal danach suchen, man muss sich nur darauf einlassen.

Freitag, 23. Oktober 2009

Bischofsberg



ulica biskupia



ulica biskupia

So nah und doch so fern

Man kann also monatelang in einer Stadt wohnen, denken, man hätte schon alles gesehen, alle Viertel abgeklappert, und dann blieb, ausgerechnet, genau neben der Innenstadt ein blinder Fleck: der Bischofsberg, heute Biskupia Górka. Gestern habe ich diese Leerstelle auf meiner Danzig-Karte gefüllt, habe sämtliche Schnellstraßen, die Danzigs Innenstadt umgreifen, unterquert und mich an den Aufstieg gemacht.

Ein bißchen wie eine Insel thront der Bischofsberg über die Aleje 3ego Maja, seine Häuserzeilen formen trutzige Wehrburgen gegen den anbrandenden Verkehr. Gleich in seiner Nähe: Der Hagelsberg, die Góra Gradowa, der wesentlich mehr Touristen und Ausflügler anzieht, hinauf zu seinem Kreuz und den Kasematten, von denen man eine ausgezeichnete Sicht auf Danzig hat.

Die hat man auch vom Bischofsberg, aber noch mehr als das: Danzig offenbart eine weitere Facette seiner selbst. Ausgiebig habe ich schon Viertel wie die Niederstadt und die alte Vorstadt abgetastet, habe sie aufgesogen; und doch vermochten mich die ulica Biskupia und die ulica na stoku zu überraschen.
Neben den bereits oft gesehenen Löchern in Fassaden, die von Maschinengewehrsalven hineingerissen wurden, finden sich hier, halb verblichen, halb abgebröckelt: deutsche Schriftzüge an Hauswänden, oberhalb der Ladenlokale. Seifen wurden hier verkauft, auch Milch und Brot.

Aber auch die Stimmung in diesem Viertel ist anders. Den Blick brav gesenkt, betont unbeteiligt - ganz wie eine Einwohnerin - ging ich durch die Straßen, heimlich immer wieder nach oben spähend. Und doch: die Blicke der Leute verrieten, dass sie mich als Eindringling ausgemacht hatten, auch ein Hund wurde halb verrückt und folgte mir mit lautem Gebell die halbe Straße herauf. Ich habe mir nichts anmerken lassen.

Weiter oben, wenn man schon die Häuserzeilen der ulica Biskupia hinter sich gelassen hat, breitet sich ein kleines Wäldchen aus, eine alte Festungsanlage lässt sich finden, ein emporragender Glockenturm. Teile des Hügels sind nicht zugänglich, da sie von einer Polizeikaserne beansprucht werden. Perspektive ist alles: Neulich noch sah ich den Glockenturm von der Bastion Maidloch aus, nun genau darunter zu stehen vervollständigt das Bild, gibt ihm tiefere Dimension.

An diesem Ort, so abweisend oder wenig besucht er heute wirken mag, fand doch Geschichte statt. Im Juni 1946 wurden hier elf Kriegsverbrecher (unter anderem fünf deutsche Aufseherinnen, eine mit dem in die Irre führenden Namen: Ewa Paradies) gehängt - von ehemaligen Häftlingen des Lagers, die die Verurteilten von den Laderampen der LKWs schubsten.

Ich habe den Bischofsberg recht schnell wieder verlassen. Die Zeit jedoch, die ich dort verbracht habe, steht in keiner Proportion zu dem Eindruck, den das Viertel auf mich gemacht hat!

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Stogi. Wind und Wetter



Und keine Menschenseele weit und breit. Schweden, quer übers Meer: 400 Kilometer