Sonntag, 29. November 2009

Lächeln!

Heute: Ein grauer, verregneter Tag, gegen drei Uhr begann bereits die Dämmerung...Ein Tag, wie geschaffen, um ihn daheim im Sessel, mit Unmengen Tee und einem guten Buch zu verbringen.
Was aber tun, wenn es einen einfach immer nach draußen treibt, weil man das Gefühl hat, man verpasst etwas in dieser Stadt, wenn man nicht rausgeht und durch die Straßen streift?

Dann heißt es, Regenjacke an, Winterstiefel (hohes Profil!) an und; dem Regen und der Kälte getrotzt. Grübeln kann man ja bekanntlich bei jedem Wetter, und so zog ich, meinen Gedanken nach hängend, durch die Innenstadt, die Kapuze tief in die Stirn gezogen. Sogar die Tauben saßen ganz nass und zerzaust auf den Stufen des Artushofes, es war ein Bild zum Erbarmen.

Meine Laune, so gedämpft sie auch war, schlecht war sie ganz bestimmt nicht; jeder kennt den Gesichtsausdruck, den man hat, wenn man konzentriert ist... Gerade, als ich in die Lektykarska-Straße einbiegen wollte, sprang mir ein älterer, deutscher Tourist in den Weg und quietschte: "Lächeln!"
Es geht nichts über gut gelaunte Zeitgenossen!

Freitag, 27. November 2009

Spiegel-Bild

Heute ein bezauberndes Erlebnis auf der Swietojanska-Straße, unweit meiner Wohnung: Ein Mann trug einen Barock-Spiegel seitlich unter dem Arm, ja, er schleppte ihn förmlich, so schwer war er.
Und wie er über die Straße ging, hielt er den Spiegel just in so einem Winkel, dass sich ein Teil der Marienkirche und des davor liegenden Parkes in ihm spiegelte...
Verfremdete Realität! ... was so ein Ausschnitt bewirken kann: die Bestürzung, dass es nicht allein die Realität der Welt gibt, sondern ebenfalls die Realität der Spiegel.

Schade, dass ich nicht rechtzeitig meine Kamera zücken konnte für dieses Doppelte Danzig. Jedenfalls musste ich gleich an die Rolle der Literatur denken, vor allem natürlich: Literatur über Danzig.
Auch sie versucht Danzig abzubilden, tut so, als würde sie wirklich Danzig abbilden, aber dennoch ist es immer: die Realität des Spiegels. Es sieht nur so aus, in Wirklichkeit ist es etwas anderes, eine Paralleldimension. Literatur.

Mittwoch, 25. November 2009

Die Post

Mittlerweile glaube ich, der "offizielle" Ort, den ich am häufigsten während meines Besuches aufgesucht habe, ist die Post auf der Langgasse. Heute war ich wieder da, ein paar Weihnachtspostkarten und ein Karton für ein Weihnachtspaket wollten eingekauft werden... ich bin unheimlich gerne auf der Post, sitze auf den Eichenbänken, befühle die kleinen Löwenköpfe, die die Bänke abschließen und betrachte das Taubenrelief, was die Wand schmückt.

Oft kommen Touristen hinein, einfach nur, um den Raum zu bewundern. Er gehört definitiv zu den Räumen an der Langgasse, die man gesehen haben muss. Ich bin mir sicher, viele ziehen einfach nur aus Spaß eine Nummer aus dem kleinen Automaten am Eingang.

Schon so oft habe ich das Taubenrelief bewundert, aber erst, als ich neulich etwas Geld überweisen wollte und eine Kindergartengruppe den Raum betrat, habe ich erst ihren tieferen Sinn verstanden.
Die Kindergärtnerin fragte die Kleinen, was sie da oben sähen - Tauben! - und erklärte ihnen, dass die Tauben deshalb dort seien, weil in früheren Zeiten eben die Tauben die Post gebracht hätten.
"Das glaub ich nicht", sagte da ein kleines Kind.

Montag, 23. November 2009

Farbe. Einfärbung

Ausgiebiger Spaziergang durch die Vor- und Niederstadt mit Aleksander Maslowski, einem stadtbekannten (und darüber hinaus) Danzig-Experten. Was er auf einer seiner Seiten (www.rzygacz.webd.pl) betreibt, kam auch während des Gangs zum Tragen: die Aneignung und das Verständnis von Geschichte mithilfe persönlicher Geschichten, Geschichten "normaler" Menschen und Orten.

Die große Geschichte kennt jeder. Die Kleine kennen nur wenige. Und sei es, dass sie schmackhafter gemacht wird mithilfe von Anekdoten, Legenden, Sagen, Mythen: All das gehört zu dem, was wir Geschichte, was wir menschlich nennen. Nichts anderes ist Geschichte.
Zu den Bastionen Maidloch und Gertrud gewinnt man ein ganz anderes Verhältnis (überhaupt: ein Verhältnis), wenn man erzählt bekommt, dass zwischen ihnen, am Ufer des Grabens, ein deutscher Soldat, der dort erschossen wurde, begraben liegt. Und das Rauschen des Schilfes im Ohr: Natürlich, ein Flüstern. Geschichte wird so unmittelbar, be-rührend.

Über die Schienen, die zum alten Güterbahnhof führten, sind wir weiter bis zur Steinschleuse gestolpert. Von dort aus sind wir zu der Ruine eines Hauses hinüber gegangen, vor der drei aufeinander gestapelte Klötze liegen, bislang sind sie mir niemals aufgefallen.
Als wir näher kamen, erkannte ich ein Denkmal für die Gefallenen des ersten Weltkrieges - in fein ziselierter Frakturschrift. Aleksander erklärte, das Denkmal wurde aus irgendeinem der umliegenden Dörfer hierher geschafft, wahrscheinlich, um es zu zerstören. Ein paar Meter hinter dem Denkmal lag der Kiefer eines Hundes, vielleicht.

Freitag, 20. November 2009

Olivaer Forst




Der November verwöhnt die Stadt: kristallklare Luft und blendender Sonnenschein! Fahrt mit Andrzej hinaus nach Oliva. Erst der obligate Bummel vorbei an im Tiefschlaf versunkenen Villen (Dornröschen!, musste ich denken), weiter vorbei am Park und der Kathedrale, am Markt entlang, die Mühle hinter sich lassen.

Auf dem Weg hinauf zur Aussichtsplattform liegen die Blätter kniehoch! Wie die Kinder planschten wir im Buchengeblätt, lachten bis wir heiser waren und die Hälse von der kalten Luft schmerzten. Schweren Atems oben ankommen, bis zum Meer blicken, da hinten, die Marienkirche, ganz links Sopot, und hinter einem: Der Wald, die Moränen. Atemberaubend schön.

Andrzej erzählte, in Sopot könne man auch Ski fahren. Zwar nicht ganz wie in den Bergen, aber immerhin...
Mittlerweile glaube ich, es gibt in Danzig nichts, was es nicht gibt.

Donnerstag, 19. November 2009

Ex oriente lux

Ganz, ganz früh am Morgen, noch bevor die Sonne richtig aufgegangen ist, ist man mit den Anglern an der Mottlau allein. Die Stadt selber schläft noch, die Mariacka - die Frauengasse - ist wie leergefegt, Ruhe.
Ab und zu eine Katze. Keine Vögel. Fast hätte man die Wellen gegen das Lange Ufer schwappen hören können, so still war es heute früh.

Automatisch selber leise auftreten, um keinen Lärm zu verursachen, niemanden aufzuwecken.
Und im immer heller werdenden Tag hinüber zur Niederstadt laufen, leise, denn ein Freund hatte Nachtschicht bei der Polizei und lud ein zu einem frühmorgendlichen Frühstück, Kaffee und Pfannkuchen.

Die Niederstadt bei Sonnenaufgang: Noch entrückter, verschlafener als sonst. Auf der anderen Seite des Flusses scheint es noch Nacht zu sein, trotz des Lichtes, das sich langsam, vom Osten kommend, über Dächer und Häuser ausbreitet...

Dann in der Wohnung von Andrzej. Auf den kleinen Balkon im achten Stock treten, windig ist es hier oben, und hinüber zum Bischofsberg blicken. Einen heißen Kaffee in der Hand, und, also: Mit Danzig gemeinsam aufwachen.

Dienstag, 17. November 2009

Die Arbeit des Tages

Eine Bildungs-Odyssee durch Danzig! Zumindest kam es mir so vor...
Heute früh um sieben ging sie los, und zwar mit der Tramway hinaus über Langfuhr nach Oliwa, zur Danziger Universität. Dort warteten zwei dutzend Studenten im Germanistik-Institut, mit denen zusammen ich ein kleines Block-Seminar durchführe: Über die neue deutsche Literatur der letzten zehn, zwanzig Jahre, und einen kleinen Crashkurs im Kreativen Schreiben.

Die Professorin, die den Kurs normalerweise betreut (Literatur des 20. Jahrhunderts) hatte mir zwar schon gesagt, dass es sich um Studenten des 5. Semesters handele, dennoch war ich überrascht von ihrer Sprachkompetenz. Und dann, dort, um 8 Uhr in der Früh, durchflutete mich im dritten Stock der Universität ein diffuses Glücksgefühl: Wie wunderbar, dass es in Danzig so gut ausgebildete, bilinguale Menschen gibt... Für mich in dem Moment: eine so gute Anknüpfung an vergangene Zeiten, ein (Sprach)Bewusstsein, vor dem man nicht anders als den Hut ziehen kann.

Natürlich war das am Germanistik-Institut, auf den Straßen finden man sowas zwar auch, aber naturgemäß seltener... Aber es ist doch erstaunlich, was für ein brückenschlagendes und friedenstiftendes Moment es sein kann, eine Fremdsprache so gut zu beherrschen. Noch dazu wenn es eine ist, die mit dem Ort, an dem man lebt, soviel zu tun hat.

Nächste Woche also der zweite Teil des Seminars: Figurenzeichnung und Räume, Orte, Atmosphäre. Nun allerdings gibt es erst einmal eine große Portion Tee - nach der Universität kam noch ein Treffen im Herder-Zentrum, wo ich Anfang Dezember ebenfalls einen Vortrag halten werde. (genauere Angaben folgen).