Mittwoch, 2. September 2009

Westerplatte

Ich habe das Gefühl, mein ganzes Leben auf der Westerplatte verbracht zu haben - dabei können es gestern höchstens neun Stunden gewesen sein. Ein Leben, gefüllt mit der sich ein letztes Mal aufbäumenden und dabei alles versengenden Sommersonne, fragilen, weißen Plastiksonnenschirmen, Filmleinwänden, von denen Maschinengewehrsalven hinunterdonnern, Kontrollhelikoptern, Durst, Reden, Fernsehen, sehr viel Fernsehen.

Angefangen hatte alles mit einem kleinen Dreh der ARD in der Innenstadt, dann auf einem Kriegsschiff für das polnische Fernsehen, TVP. Dort hatte ich das Vergnügen, Stefan Chwin und seine Frau zu treffen - auf meine Frage hin, wie der Urlaub gewesen sei, hatte er die Augen aufgerissen und gesagt: Ach, wir waren ja bloß in den Kaschuben - wissen Sie denn, was das ist, die Kaschuben?
Natürlich war ich viel zu verdattert, um situationsgemäß zu reagieren - ich habe brav gelächelt, Jawohl, Herr Chwin, ich weiß, was die Kaschuben sind - und später hat der Kameramann Michal von der ARD kommentiert, ich hätte ihm erzählen sollen, dass ich in Berlin wohne: Ob er wisse, was das sei?
Jaja, Schlagfertigkeit ist das, was einem auf dem Nachhauseweg einfällt. Frau Chwin übrigens ganz in weiß mit Hut, queen-like, kirschrote Lippen.

Dann die Niederlegung der blauen Windlichter und die Reden. Kaczynski hat den Eindruck eines etwas gelangweilten Geschichtslehrers auf mich gemacht, Tusk war nicht viel besser, erst Merkel hat mich mit ihrer Emotionalität wieder aufgeweckt, auch Putins Rede fand ich beinahe versöhnlich und somit sehr überraschend.

Ich glaube ja, es ist sehr anstrengend, für das Fernsehen zu arbeiten, vor allem, wenn es für einen gewichtigen Sender wie die ARD ist. Vor allem aber dann, wenn man vor hat, die Stadtschreiberin während der Festivitäten zu drehen, und selbige am Eingang der Westerplatte merken muss, dass irgendjemand im Stadtbüro vergessen hat, die vollständige Einladung zu schicken, man deshalb mit ihr zwei Stunden in praller Sonne vor dem Eingang warten muss, bis der Plastikanhänger, den man sich um den Hals hängt, per Auto nachgeschickt wird, und man erst dann, verspätet, mit der Arbeit beginnen kann.
Nein, ich beneide die Fernsehredakteure nicht. Ich als Stadtschreiberin kann wenigstens alle Phänomene nehmen, wie sie kommen.
Wenn es Chaos ist, nehme ich Chaos, sage, schreibe: Chaos.

www.kulturforum.info:
Danziger Stadtschreiberin in den ARD tagesthemen und im ZDF heute journal

1 Kommentar:

  1. Sehr geehrte Frau Janesch,
    sehr schön, wie Sie die Feierlichkeiten kommentiert haben. Auch in der Fernsehübertragung habe ich Sie mir sofort gemerkt, als jung-frische Beobachterin Polens. Ich mußte an den Kabarettisten Steffen Möller denken, dessen Buch VIVA POLONIA ich grade verschlungen habe. Konkreter Anlaß: Wir fahren zu 7, Geschwisterreise, vom 1.-4.10.09 nach Danzig, um von dort aus die Spuren unserer 1945 geflüchteten Mutter zu suchen. Grünhagen, Elbing, Danzig. Sie gehörte zur mennonitischen Gemeinde, die in dieser Gegend große Höfe bewirtschafteten und alles verlassen haben. Übers Haff nach Dänemark, 3 Jahre Internierung und dann Auswanderung nach Praguay und Uruguay, dort haben wir letztes Jahr die dort entstandenen deutschen mennonitischen Bauernkolonien besucht. Das war sehr beeindruckend, eine deutsche Flüchtlingsgeschichte. Nun also Danzig, um Spuren des Lebens vor dem Krieg nachzuvollziehen. Besteht die Möglichkeit, dass Sie uns womöglich durch Danzig führen würden? Am Donnerstag den 1.10.? Oder kennen Sie jemanden, der sich speziell auch mit der mennonitischen Glaubenstradition auskennt und uns nach Grünhagen begleiten könnte? Wir finden wohl hin, aber polnisch kann niemand von uns. Alles bekommt eine tiefere Bedeutung, wenn uns jemand ortskundig und sprachlich führen würde. Mit herzlichen Grüßen und guten Wünschen für Sie in Ihrem interessanten Job als Stadtschreiberin,
    Ihre Etta Mimkes, 33100 Paderborn, Tel. 05251-63180, ettamimkes@gmx.de

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