Man kann also monatelang in einer Stadt wohnen, denken, man hätte schon alles gesehen, alle Viertel abgeklappert, und dann blieb, ausgerechnet, genau neben der Innenstadt ein blinder Fleck: der Bischofsberg, heute Biskupia Górka. Gestern habe ich diese Leerstelle auf meiner Danzig-Karte gefüllt, habe sämtliche Schnellstraßen, die Danzigs Innenstadt umgreifen, unterquert und mich an den Aufstieg gemacht.
Ein bißchen wie eine Insel thront der Bischofsberg über die Aleje 3ego Maja, seine Häuserzeilen formen trutzige Wehrburgen gegen den anbrandenden Verkehr. Gleich in seiner Nähe: Der Hagelsberg, die Góra Gradowa, der wesentlich mehr Touristen und Ausflügler anzieht, hinauf zu seinem Kreuz und den Kasematten, von denen man eine ausgezeichnete Sicht auf Danzig hat.
Die hat man auch vom Bischofsberg, aber noch mehr als das: Danzig offenbart eine weitere Facette seiner selbst. Ausgiebig habe ich schon Viertel wie die Niederstadt und die alte Vorstadt abgetastet, habe sie aufgesogen; und doch vermochten mich die ulica Biskupia und die ulica na stoku zu überraschen.
Neben den bereits oft gesehenen Löchern in Fassaden, die von Maschinengewehrsalven hineingerissen wurden, finden sich hier, halb verblichen, halb abgebröckelt: deutsche Schriftzüge an Hauswänden, oberhalb der Ladenlokale. Seifen wurden hier verkauft, auch Milch und Brot.
Aber auch die Stimmung in diesem Viertel ist anders. Den Blick brav gesenkt, betont unbeteiligt - ganz wie eine Einwohnerin - ging ich durch die Straßen, heimlich immer wieder nach oben spähend. Und doch: die Blicke der Leute verrieten, dass sie mich als Eindringling ausgemacht hatten, auch ein Hund wurde halb verrückt und folgte mir mit lautem Gebell die halbe Straße herauf. Ich habe mir nichts anmerken lassen.
Weiter oben, wenn man schon die Häuserzeilen der ulica Biskupia hinter sich gelassen hat, breitet sich ein kleines Wäldchen aus, eine alte Festungsanlage lässt sich finden, ein emporragender Glockenturm. Teile des Hügels sind nicht zugänglich, da sie von einer Polizeikaserne beansprucht werden. Perspektive ist alles: Neulich noch sah ich den Glockenturm von der Bastion Maidloch aus, nun genau darunter zu stehen vervollständigt das Bild, gibt ihm tiefere Dimension.
An diesem Ort, so abweisend oder wenig besucht er heute wirken mag, fand doch Geschichte statt. Im Juni 1946 wurden hier elf Kriegsverbrecher (unter anderem fünf deutsche Aufseherinnen, eine mit dem in die Irre führenden Namen: Ewa Paradies) gehängt - von ehemaligen Häftlingen des Lagers, die die Verurteilten von den Laderampen der LKWs schubsten.
Ich habe den Bischofsberg recht schnell wieder verlassen. Die Zeit jedoch, die ich dort verbracht habe, steht in keiner Proportion zu dem Eindruck, den das Viertel auf mich gemacht hat!
Freitag, 23. Oktober 2009
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