Montag, 12. Oktober 2009

Wasserstand. Milchkannenbastei

Es gibt nichts Schöneres, als dick eingemummelt in einen warmen Wollpullover an der Motlawa entlang zu spazieren...
Gestern nachmittag, die Sonne schien fahl durch ein paar Wolken hindurch (ich glaube, ich habe den einzigen Sonnenstrahl des gestrigen Tages erwischt) habe ich mich aus der Wohnung also losgerissen und bin dem Fluss gefolgt.

Der Wasserpegel ist merklich gestiegen! Und noch mehr als das: Schwaden von grüner Entengrütze haben sich in die Wellen hinein geschoben und färben den Fluss, schwappen gegen die Schiffsbuge (auf der Mottlau herrscht reger Verkehr - neben dem obligaten Piratenschiff liegen hier zur Zeit mindestens drei andere Schiffe, weiß und glänzend versprechen sie sonnige Tage auf See - oh: schon jetzt, das erste Mal, Wehmut nach dem Sommer).

Und dann doch nur bis zu der Milchkannenbastei gekommen, weil ich mich bei ihr, wie so oft, festgestarrt hatte. Jedes Mal, wenn ich hier vorbei komme, stelle ich mir vor, wie es wohl wäre, in dem Fachwerk-Zimmerchen zu schreiben, das die beiden massiven Türme miteinander verbindet...

Ganz entschieden eines meiner heimlichen Lieblingsgebäude in Danzig. Ich dachte, es stünde leer, dann hat mir jemand gesagt, es seien Büros darin gewesen, zumindest bis dato, jetzt überlege man anscheinend, den Komplex zu verkaufen. Natürlich: Die Fensterchen der Bastei sind winzig klein, die Zimmer nicht nur gekrümmt, sondern auch dunkel...
Nichtsdestotrotz. Ein Ort mit großartigem Potenzial, ich hoffe, es wird genutzt!

Freitag, 9. Oktober 2009

Im Artushof

Der Stress der letzten Tage und die gestrige Kälte im Artushof machen sich mit einer Erkältung bemerkbar... na, Grund genug, zu Hause zu bleiben und alles nochmals gedanklich durchzugehen.

Gestern also erst die Buchvorstellung von "Die Box" in polnischer Übersetzung, Grass las erst persönlich, danach ein Schauspieler aus der polnischen Version, und anschließend die Diskussion über die Rezeption der "Blechtrommel".

Dafür bot der Artushof einen herrschaftlichen Rahmen: Unser Tisch wurde an der Stirnseite des Raumes aufgebaut, über unseren Köpfen schwebten einige hölzerne Schiffe, die an Ruhm und Reichtum vergangener (Hanse) Tage erinnern wollten, und hinter uns brach ein Hirsch aus der Wand (mein Mitstreiter Wojciech Boros bat mich recht inniglich, über diesen Hirsch zu schreiben. Was hiermit erledigt wäre). Und ganz zu unserer Rechten jener berühmte, prächtige Ofen: Was für ein Paradox, dass man mit diesem König der Öfen sich in einem Saal aufhält und trotzdem überlegt, wie einem bloß wärmer werden könnte...

Als die Diskussion anfing, hatte sich das Thema erledigt: Spannung lag in der Luft, schließlich saß der Autor, über dessen Werk wir diskutieren sollten, mitten unter uns: Und ich zu seiner Linken. Ich glaube, ich erzählte etwas von der Wurmlochartigkeit der Blechtrommel, und Grass beschwerte sich am Ende, dass die armen, jungen Autoren so auf die Trommel festgenagelt würden. Während er das sagte, befühlten seine feingliedrigen Hände die Löwenköpfchen seiner Stuhllehnen. Später, beim Abendessen im Radisson, haben wir einen Faden des Gesprächs wieder aufgenommen: Das Phantom der jetzigen Generation. Dazu aber mehr in einem anderen Eintrag... der Kräutertee ruft.

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Literatur. Sprache und Kunst

Es ist recht bezeichnend, dass ausgerechnet jener Post, der sich mit Grass beschäftigt, am meisten Resonanz kassierte. Wo sich die Älteren verraten fühlen, fühlen sich die Jüngeren gelangweilt, so das bisherige Meinungsbild, dass sich bei meinen Gesprächen ergeben hat. Außer die Schriftsteller, die wissen, was ich meine, wenn ich sage, dass ich vor der Blechtrommel den Hut ziehe. Dass die Kulturszene sich mehr als eingehend dem Werk Grass' widmet, muss nicht extra betont werden (siehe das Festival, das gerade statt findet: Grassomania)

Grass hat in der Blechtrommel nicht nur Inhalt gestaltet - der derartig polarisiert, dass etwas wesentliches häufig außer acht gelassen wird: Die Sprache. Hier wurde das Wort gestaltet, die Möglichkeiten des Ausdrucks neu erfunden, Motive ausgearbeitet, die in das kollektive, schriftstellerische Unterbewußtsein übergegangen sind.
Mein Respekt vor dieser Leistung ist also vorrangig der einer Schriftstellerin, von dieser Warte kann und darf man nicht überrascht sein, wenn man den Blog einer Schreibenden liest. Es geht, diesen Aspekt muss man hervorheben, um die Literarizität. Respekt vor einem Werk zu haben heißt nicht, ihm unkritisch gegenüber zu stehen.

Über all dies musste ich gestern nachdenken, bei einem ausgedehnten Spaziergang durch die alte Vorstadt, durch den Zabi Kruk (Poggenpfuhl), am Plac Walowy (Wallsplatz) vorbei, bis hinunter zu den Bastionen... in den vergangenen zwei Monaten ist mir Danzig in all seinen Erscheinungen sehr vertraut geworden, ich bin ungeheuer gespannt, was der morgige Tag birgt.

Dienstag, 6. Oktober 2009

Morgenhimmel


Und alles so friedlich und gut

Montag, 5. Oktober 2009

Lektüre

Wie lange ist es her, dass ich die Blechtrommel gelesen habe? Jahre und zugleich nur einige Momente. Am Stück hatte ich sie vor Jahren verschlungen, und später, bis heute, immer wieder, tröpfchenweise konsumiert, adaptiert, mir und meinem Schreiben anverwandelt...
Ob das reicht, für eine öffentliche Diskussion mit Günter Grass und fünf anderen Schriftstellern, für eine Diskussion mit dem Thema: Was ist die Blechtrommel für die verschiedenen Generationen?

Ich weiß vor allem, was die Blechtrommel für mich ist, als Schreibende. Das kann und werde ich erzählen. Aber ein Politikum daraus machen? Für mich ist die Literatur ein eigener Raum, hat ihre eigenen Grenzen, kennt keine Staatsgrenzen, ist sich selber Struktur und Halt genug.

Wie dem auch sei, bis Donnerstag heißt es also: eifrig blättern, sich erinnern, Notizen machen. Die Diskussion wird im Artushof stattfinden, vor über 300 geladenen Gästen. Gerade habe ich mich mit der Kuratorin des Festivals getroffen, die mir erzählt hat, dass sie sich gleich ein neues Kleid kaufen geht, für das Abendessen mit Grass und dem Bürgermeister der Stadt. Ich habe meine Lektüreerfahrung und meine Hochachtung für Grass' Literatur. Das muss reichen.

Freitag, 2. Oktober 2009

Zeitläufe

Trotz der eisigen Kälte, die sich gestern Abend in meinem Zimmer breit gemacht hat, bin ich, kaum, dass ich mich hingelegt hatte, sofort eingeschlafen...
Ein Tag wie ein Leben. Erst ein Besuch in Dolne Miasto bei einer überaus munteren deutschen (!) Danzigerin, die mir von der Stadt vor dem Krieg erzählt hat...und, dass sie sich nach wie vor hier zu Hause fühlt. Egal ob als Deutsche oder als Polin. Ein leiser, polnischer Akzent schwang mit, als sie es auf deutsch gesagt hatte...

Für mich hat das sehr viel bedeutet, sehr versöhnt bin ich nach dem Gespräch durch die Innenstadt gegangen.
Danach, kaum ein paar Stunden später, ein Gespräch mit Filip, in irgendeinem Café auf der Piwna, bitterkalt war es, als wir hingegangen sind, und außerdem schon dunkel (der Herbst möchte so tun, als sei schon Winter - ich habe schon die ersten Leute mit Mützen und Handschuhen gesehen! Noch weigere ich mich selber). Zum ersten Mal hat er mir Fotos aus dem Irak gezeigt, Männer in Uniformen, Wüste, brüllende Hitze...und Kinder, immer wieder Kinder, die in die Kamera schrien und lachten, die Augen aufrissen.
Babylon, immer wieder Babylon, eine Kopie des Tores von Ischtar. Wo das Original steht, ist bekannt, Filip hat es sehr kritisiert.

Ich werde bald ein neues Notizheft brauchen, allein der gestrige Tag reicht aus für mehrere Erzählbände und büschelweise Artikel. Und doch wird alles in den Roman fließen... Halt! Nicht zuviel verraten!
Nur noch soviel: Ich kann das Wochenende gut gebrauchen. Und vielleicht wird es etwas wärmer. Vorsichtshalber werde ich mir heute ein Dutzend Kerzen kaufen.

Mittwoch, 30. September 2009

Eigenleben

Ein weiteres Fragment der Stadterzählung im Blog, das kann nicht schaden, das kann höchstens zeigen: Das tut man hier, während man in Danzig ist und Stadtschreiber.
Vor allem aber plant man den Roman, sehr detailliert mittlerweile, schreibt erste Szenen, hat sogar schon einen Titel, der streng geheim ist. Um Kopf und Kragen plant man sich, ist einmal überzeugt von seiner Größe, einmal vom abgrundtiefen Schwachsinn des Ersonnenen. Nein: Im Grunde habe ich diese Phase längst hinter mir gelassen, bin überzeugt vom Rahmen meines Romans, jetzt kann nur noch an Details, an Gestaltungsfragen gemosert und geändert werden. Es gibt einen Punkt in der Planungsphase eines jeden Romans, an dem man nicht zurück kann, und auch nicht zurück sollte, sonst droht der fatalste aller Fälle: Dass man aufhört, zu schreiben. Das muss um jeden Preis vermieden werden.
Bevor es soweit ist, dass ich ein paar Seiten aus meinem zweiten Roman präsentiere, hier also ein weiteres Häppchen "Beiwerk", die Thematik passend zum heutigen Blog-Eintrag. Wer sich Sorgen gemacht hat: Meinem Zahn und mir geht es wieder gut, gutes Zureden und ein wenig Bohren haben Wunder gewirkt!


"Der Text verwehrt sich mir, schon seit einigen Tagen ringe ich mit ihm und ringe gegen ihn nach Worten. Heute Morgen dann hat er gewonnen, schmiss mich aus der Wohnung hinaus, er brauche nun Zeit für sich und könne mich für eine Weile nicht mehr sehen. Ich gehe durch die Straßen – in der Dominikanska biege ich ab Richtung Podwale Miejskie, wohin ich gehe, weiß ich nicht genau – und versuche zu begreifen, was geschehen ist.
Noch vor einer Woche meinte ich genau zu wissen, wo es mit ihm hingeht, ich führte ihn sicher an der Hand, entwickelte ihn, fing sogar an, ihn zu gestalten, als er sich plötzlich aufbäumte und sich mir von seiner abscheulichen Seite zeigte: der Langeweile. Seitdem hatte ich versucht, ihn zu heilen, herauszufinden, woran er krankte, aber je länger ich an ihm herumoperierte, desto unwilliger wurde er und schließlich hörte er gänzlich auf, sich mir mitzuteilen. Von einer Minute auf die andere verstummte er, hörte auf zu zappeln und sich zu recken, wie ein Käfer, der vor Schreck vorgibt, tot zu sein, streckt er, um mich von seiner Todesstarre zu überzeugen, seine Gliedmaßen von sich.
Ich ließ ihn also liegen, etwas angeekelt zwar und unangenehm berührt, aber fing dennoch an, an etwas anderem zu schreiben, solange, dachte ich, bis er von selber wieder aufwachen würde und sich mit leiser Stimme melden: Hör mal, ich bin doch nicht tot, ich hab nur so getan! Als er sich endlich aussprach, war er lauter und ungehaltener, als ich erwartet hatte. Unverantwortlich sei ich, undiszipliniert auch, aus diesen Gründen habe er nun den endgültigen Rückzug beschlossen, innere Emigration nenne man das, und bevor er mich aus der Wohnung schmiss, sagte er noch, dass ich nun nicht mehr viel von ihm erwarten könne.
Ich halte sein Verhalten für übertrieben, und während ich schon in der Straganiarska bin und die Pappeln röten sehe, denke ich, dass ich mir all das nicht gefallen lassen muss. Ich spitze meinen Bleistift, die grauen Flusen fallen auf den Bürgersteig."