Heute ein bezauberndes Erlebnis auf der Swietojanska-Straße, unweit meiner Wohnung: Ein Mann trug einen Barock-Spiegel seitlich unter dem Arm, ja, er schleppte ihn förmlich, so schwer war er.
Und wie er über die Straße ging, hielt er den Spiegel just in so einem Winkel, dass sich ein Teil der Marienkirche und des davor liegenden Parkes in ihm spiegelte...
Verfremdete Realität! ... was so ein Ausschnitt bewirken kann: die Bestürzung, dass es nicht allein die Realität der Welt gibt, sondern ebenfalls die Realität der Spiegel.
Schade, dass ich nicht rechtzeitig meine Kamera zücken konnte für dieses Doppelte Danzig. Jedenfalls musste ich gleich an die Rolle der Literatur denken, vor allem natürlich: Literatur über Danzig.
Auch sie versucht Danzig abzubilden, tut so, als würde sie wirklich Danzig abbilden, aber dennoch ist es immer: die Realität des Spiegels. Es sieht nur so aus, in Wirklichkeit ist es etwas anderes, eine Paralleldimension. Literatur.
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Freitag, 27. November 2009
Samstag, 31. Oktober 2009
Die Marienkirche und Ich
Schriftsteller haben die Angewohnheit, zu starren. Stundenlang, gegen die Wand, in eine Kaffeetasse, auf den Laptop, vorzugsweise aber aus dem Fenster. Ich würde behaupten, dass ein Schriftsteller mehr aus dem Fenster starrt, als dass er schreibt, behauptet also jemand, fünf Stunden lang geschrieben zu haben (was ohnehin unmöglich ist, am Stück), sage ich: Ja, aber davon hast du drei Stunden aus dem Fenster gestarrt!
Auf dem Blog habe ich nun schon zahlreiche Fotos der Aussicht aus meinem Fenster veröffentlicht, Fotos von dem kleinen Park und der Marienkirche, die sich hinter ihm auftürmt. Jeden Tag guckt mir ihr ummantelter Turm - der Turm wird gerade restauriert und ist deshalb eingepackt in Stoffplanen, die im vergangenen Sturm trotzdem die herunterfliegenden Backsteine nicht abhalten konnten - über die Schulter, guckt mir beim Schreiben zu.
Ohne pathetisch werden zu wollen, ist sie mir tatsächlich so vertraut geworden, und nicht nur dass: Fast schon ein notwendiges Schreibutensil ist sie geworden, etwas, mit dem ich mir einbilde, mich besser konzentrieren zu können, länger am Schreibtisch verharren zu können, wacht die Kirche doch über mir und kontrolliert eifersüchtig meine Arbeitszeit.
Die Marienkirche. Mittlerweile kenne ich sie genau, kenne ihre Ein- und Ausgänge, ihre Portale, die abgewetzten Steinplatten, die Kapellen, die Uhren, die Holzskulpturen, den Altar. Ich fühle mich in ihr zu Hause. Wenn ich meines Schreibtisches überdrüssig werde, meine, nicht genug Zeit zu haben für einen Spaziergang oder eine Stadtflucht, gehe ich hinüber und drehe einige Runden in der Kirche, jedes Mal ein neues Detail entdeckend.
Was werde ich bald schon ohne sie tun? Ich denke über eine Fototapete nach. Irgendwie muss dieses Problem doch zu lösen sein.
Auf dem Blog habe ich nun schon zahlreiche Fotos der Aussicht aus meinem Fenster veröffentlicht, Fotos von dem kleinen Park und der Marienkirche, die sich hinter ihm auftürmt. Jeden Tag guckt mir ihr ummantelter Turm - der Turm wird gerade restauriert und ist deshalb eingepackt in Stoffplanen, die im vergangenen Sturm trotzdem die herunterfliegenden Backsteine nicht abhalten konnten - über die Schulter, guckt mir beim Schreiben zu.
Ohne pathetisch werden zu wollen, ist sie mir tatsächlich so vertraut geworden, und nicht nur dass: Fast schon ein notwendiges Schreibutensil ist sie geworden, etwas, mit dem ich mir einbilde, mich besser konzentrieren zu können, länger am Schreibtisch verharren zu können, wacht die Kirche doch über mir und kontrolliert eifersüchtig meine Arbeitszeit.
Die Marienkirche. Mittlerweile kenne ich sie genau, kenne ihre Ein- und Ausgänge, ihre Portale, die abgewetzten Steinplatten, die Kapellen, die Uhren, die Holzskulpturen, den Altar. Ich fühle mich in ihr zu Hause. Wenn ich meines Schreibtisches überdrüssig werde, meine, nicht genug Zeit zu haben für einen Spaziergang oder eine Stadtflucht, gehe ich hinüber und drehe einige Runden in der Kirche, jedes Mal ein neues Detail entdeckend.
Was werde ich bald schon ohne sie tun? Ich denke über eine Fototapete nach. Irgendwie muss dieses Problem doch zu lösen sein.
Mittwoch, 21. Oktober 2009
Festungswälle und Bastionen
Einer meiner Lieblingsorte in Danzig ist ganz entschieden die alte Steinschleuse geworden, die die Niederstadt von der Vorstadt trennt.
Gleich hinter dem schmalen Leege Tor - die Durchfahrt ist einspurig, und so gibt es immer ein großes Gerangel darum, wer als erster durchfahren darf, ein großes Gehupe und Gedrängel - türmen sich die Erdkegel der Bastion Maidloch und der Bastion Gertrud auf. Und dahinter, eine bewaldete Wand: der Bischofsberg, bunt getupft und schon arg mitgenommen von den vergangenen Stürmen.
Aber zurück zu der Steinschleuse: Wo im Sommer Kinder umhersprangen und sich in das trübe Wasser schubsten, herrscht nun Stille, Schwäne gleiten durch den Nebel, der sich über die Wasser der Mottlau gelegt hat, und verschwinden mal in den Schwaden, mal im Schilf des Ufers.
Wenn man mutig ist, kann man auf den verfallenen Resten der Steinschleuse balancieren, kann von Granitblock zu Granitblock springen, um schließlich klopfenden Herzens den Aufstieg auf die Krone der Bastion Gertrud zu unternehmen. Einst ließen sich hier in diesen Wällen, die aufgeschüttet wurden aus der Erde und dem Dreck der Stadt, zuhauf Porzellanreste und Münzen finden. Nun ist alles grasüberwuchert, keine Chance, an den Grund zu gelangen.
Von oben hat man eine wunderbare Sicht auf die Niederstadt, dieses wunderbare Viertel: auf den Wallplatz, das alte städtische Leihhaus, und schließlich das kleine Zeughaus, in dem nun ein Institut der Kunsthochschule residiert. Im Innenhof stehen die Fingerübungen der angehenden Bildhauer: Oberkörper, Tiere, Fabelwesen liegen da wild durcheinander, gucken aus dem Nebel heraus den Fußgänger an. Vielleicht das poetischste Bild, das sich finden lässt, weit und breit.
Und da, ganz weit hinten: Die Marienkirche, auch der Turm des Rathauses. Wie weit weg das alles scheint!
Hier gibt es vorerst Spannenderes zu entdecken: Von hier oben lässt sich am Fuß der Bastion Maidloch eine Öffnung ausmachen, die sich später als Fledermaushöhle entpuppen soll: Wer hineinblickt, den umweht ein kalter Hauch. Ein Königreich für eine Taschenlampe!
Gleich hinter dem schmalen Leege Tor - die Durchfahrt ist einspurig, und so gibt es immer ein großes Gerangel darum, wer als erster durchfahren darf, ein großes Gehupe und Gedrängel - türmen sich die Erdkegel der Bastion Maidloch und der Bastion Gertrud auf. Und dahinter, eine bewaldete Wand: der Bischofsberg, bunt getupft und schon arg mitgenommen von den vergangenen Stürmen.
Aber zurück zu der Steinschleuse: Wo im Sommer Kinder umhersprangen und sich in das trübe Wasser schubsten, herrscht nun Stille, Schwäne gleiten durch den Nebel, der sich über die Wasser der Mottlau gelegt hat, und verschwinden mal in den Schwaden, mal im Schilf des Ufers.
Wenn man mutig ist, kann man auf den verfallenen Resten der Steinschleuse balancieren, kann von Granitblock zu Granitblock springen, um schließlich klopfenden Herzens den Aufstieg auf die Krone der Bastion Gertrud zu unternehmen. Einst ließen sich hier in diesen Wällen, die aufgeschüttet wurden aus der Erde und dem Dreck der Stadt, zuhauf Porzellanreste und Münzen finden. Nun ist alles grasüberwuchert, keine Chance, an den Grund zu gelangen.
Von oben hat man eine wunderbare Sicht auf die Niederstadt, dieses wunderbare Viertel: auf den Wallplatz, das alte städtische Leihhaus, und schließlich das kleine Zeughaus, in dem nun ein Institut der Kunsthochschule residiert. Im Innenhof stehen die Fingerübungen der angehenden Bildhauer: Oberkörper, Tiere, Fabelwesen liegen da wild durcheinander, gucken aus dem Nebel heraus den Fußgänger an. Vielleicht das poetischste Bild, das sich finden lässt, weit und breit.
Und da, ganz weit hinten: Die Marienkirche, auch der Turm des Rathauses. Wie weit weg das alles scheint!
Hier gibt es vorerst Spannenderes zu entdecken: Von hier oben lässt sich am Fuß der Bastion Maidloch eine Öffnung ausmachen, die sich später als Fledermaushöhle entpuppen soll: Wer hineinblickt, den umweht ein kalter Hauch. Ein Königreich für eine Taschenlampe!
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Donnerstag, 15. Oktober 2009
Ahnung
Ohne dass ich es hätte erklären können, überkam mich bei meinem ersten Besuch in der Nikolaikirche (kosciol Sw. Mikolaja) ein sonderbares Gefühl der Beklemmung.
Am Ende der Swietojanska-Straße gelegen, hatte ich nur ein paar Schritte gehen brauchen, um sie zu erreichen - leicht schräg der Marienkirche gegenüber liegend, bildet sie das Gegengewicht zu dieser monumentalsten aller Kirchen.
Und dabei hätte ich allerlei Grund gehabt, mich für die Nikolaikirche zu begeistern: Nicht nur ist sie die älteste Kirche in Danzig - im 12. Jahrhundert erbaut! - , sondern noch dazu die, die als einzige im Krieg völlig verschont geblieben ist...
Neben einem wunderbaren Sterngewölbe weist sie außerdem eine originale, frühbarocke Ausstattung auf, völlig ausreichend also, um eine Architekturbegeisterte wie mich zu entzücken. Aber dennoch blieb es beim Fremdeln, so dass ich rascher wieder hinausging, als es mir ähnlich sähe.
Und dann erneut ein Treffen mit einer alten Danzigerin, diesmal im Café Ferber, zu einem ausgiebigen und sehr innigen Gespräch. Kurz bevor der Milchkaffee ausgetrunken war, erzählte sie mir, dass nachdem ihre Häuser 1945 zerstört wurden, hunderte von Danzigern über einen Monat lang in der Nikolaikirche Unterschlupf gefunden hatten - oder eher: darben mussten. Viele Kinder zogen es vor, auf dem Boden zu schlafen, weil die Bänke spärlich gesät und hart waren.
Heute werde ich nochmals in die Kirche gehen und sehen, wie es mir dieses Mal ergeht.
Am Ende der Swietojanska-Straße gelegen, hatte ich nur ein paar Schritte gehen brauchen, um sie zu erreichen - leicht schräg der Marienkirche gegenüber liegend, bildet sie das Gegengewicht zu dieser monumentalsten aller Kirchen.
Und dabei hätte ich allerlei Grund gehabt, mich für die Nikolaikirche zu begeistern: Nicht nur ist sie die älteste Kirche in Danzig - im 12. Jahrhundert erbaut! - , sondern noch dazu die, die als einzige im Krieg völlig verschont geblieben ist...
Neben einem wunderbaren Sterngewölbe weist sie außerdem eine originale, frühbarocke Ausstattung auf, völlig ausreichend also, um eine Architekturbegeisterte wie mich zu entzücken. Aber dennoch blieb es beim Fremdeln, so dass ich rascher wieder hinausging, als es mir ähnlich sähe.
Und dann erneut ein Treffen mit einer alten Danzigerin, diesmal im Café Ferber, zu einem ausgiebigen und sehr innigen Gespräch. Kurz bevor der Milchkaffee ausgetrunken war, erzählte sie mir, dass nachdem ihre Häuser 1945 zerstört wurden, hunderte von Danzigern über einen Monat lang in der Nikolaikirche Unterschlupf gefunden hatten - oder eher: darben mussten. Viele Kinder zogen es vor, auf dem Boden zu schlafen, weil die Bänke spärlich gesät und hart waren.
Heute werde ich nochmals in die Kirche gehen und sehen, wie es mir dieses Mal ergeht.
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