Donnerstag, 15. Oktober 2009

Ahnung

Ohne dass ich es hätte erklären können, überkam mich bei meinem ersten Besuch in der Nikolaikirche (kosciol Sw. Mikolaja) ein sonderbares Gefühl der Beklemmung.
Am Ende der Swietojanska-Straße gelegen, hatte ich nur ein paar Schritte gehen brauchen, um sie zu erreichen - leicht schräg der Marienkirche gegenüber liegend, bildet sie das Gegengewicht zu dieser monumentalsten aller Kirchen.

Und dabei hätte ich allerlei Grund gehabt, mich für die Nikolaikirche zu begeistern: Nicht nur ist sie die älteste Kirche in Danzig - im 12. Jahrhundert erbaut! - , sondern noch dazu die, die als einzige im Krieg völlig verschont geblieben ist...
Neben einem wunderbaren Sterngewölbe weist sie außerdem eine originale, frühbarocke Ausstattung auf, völlig ausreichend also, um eine Architekturbegeisterte wie mich zu entzücken. Aber dennoch blieb es beim Fremdeln, so dass ich rascher wieder hinausging, als es mir ähnlich sähe.

Und dann erneut ein Treffen mit einer alten Danzigerin, diesmal im Café Ferber, zu einem ausgiebigen und sehr innigen Gespräch. Kurz bevor der Milchkaffee ausgetrunken war, erzählte sie mir, dass nachdem ihre Häuser 1945 zerstört wurden, hunderte von Danzigern über einen Monat lang in der Nikolaikirche Unterschlupf gefunden hatten - oder eher: darben mussten. Viele Kinder zogen es vor, auf dem Boden zu schlafen, weil die Bänke spärlich gesät und hart waren.

Heute werde ich nochmals in die Kirche gehen und sehen, wie es mir dieses Mal ergeht.

Dienstag, 13. Oktober 2009

Radio

....und heute um 18:15 auf Radio Trójka: ein Interview mit mir samt Autorenporträt...

Mitost. Lesung

Am Freitag um 20 Uhr werde ich Rahmen des mitost-Festivals eine Lesung veranstalten mit Texten aus der Stadterzählung, die hier in Danzig neben dem Roman entsteht. Ort der Lesung ist das Festivalzentrum in der Ulica Dluga 57, in der dritten Etage.


Hier der Link zum Festival: www.mitost.org

Unwetter

Gerade hat es mich auf dem Weg nach Hause, auf der ulica Piwna, beinahe von der Straße gefegt - heftige Windböen, die einige der Stoffbahnen, mit denen die Gerüste der Marienkirche ummantelt sich, abgerissen haben, Möwen, die um Haaresbreite an den Giebeln im Flug vorbei getaumelt sind - und dann plötzlich einsetzender Hagel, Regen, Schnee, alles auf einmal, und in der Ferne: Donnern.

Hinter der Marienkirche, irgendwo bei der Grobla, sah ich eine Pfütze, die veritable Wellen schlug. Die Giebelhäuser von der Johanniskirche bis zur Nikolaikirche: Grau in Grau, die vorbeieilenden Leute in buntem Regenzeug die Gesichter nach unten gerichtet.
Gleich werde ich nochmals aus dem Haus gehen - nass bin ich sowieso - um zu sehen, was die Mottlau macht, und wie die Speicherinsel im Sturm aussieht. Aus irgendeinem Grund erfüllen mich Unwetter mit einem Hochgefühl. Es tut sich was!

Montag, 12. Oktober 2009

Wasserstand. Milchkannenbastei

Es gibt nichts Schöneres, als dick eingemummelt in einen warmen Wollpullover an der Motlawa entlang zu spazieren...
Gestern nachmittag, die Sonne schien fahl durch ein paar Wolken hindurch (ich glaube, ich habe den einzigen Sonnenstrahl des gestrigen Tages erwischt) habe ich mich aus der Wohnung also losgerissen und bin dem Fluss gefolgt.

Der Wasserpegel ist merklich gestiegen! Und noch mehr als das: Schwaden von grüner Entengrütze haben sich in die Wellen hinein geschoben und färben den Fluss, schwappen gegen die Schiffsbuge (auf der Mottlau herrscht reger Verkehr - neben dem obligaten Piratenschiff liegen hier zur Zeit mindestens drei andere Schiffe, weiß und glänzend versprechen sie sonnige Tage auf See - oh: schon jetzt, das erste Mal, Wehmut nach dem Sommer).

Und dann doch nur bis zu der Milchkannenbastei gekommen, weil ich mich bei ihr, wie so oft, festgestarrt hatte. Jedes Mal, wenn ich hier vorbei komme, stelle ich mir vor, wie es wohl wäre, in dem Fachwerk-Zimmerchen zu schreiben, das die beiden massiven Türme miteinander verbindet...

Ganz entschieden eines meiner heimlichen Lieblingsgebäude in Danzig. Ich dachte, es stünde leer, dann hat mir jemand gesagt, es seien Büros darin gewesen, zumindest bis dato, jetzt überlege man anscheinend, den Komplex zu verkaufen. Natürlich: Die Fensterchen der Bastei sind winzig klein, die Zimmer nicht nur gekrümmt, sondern auch dunkel...
Nichtsdestotrotz. Ein Ort mit großartigem Potenzial, ich hoffe, es wird genutzt!

Freitag, 9. Oktober 2009

Im Artushof

Der Stress der letzten Tage und die gestrige Kälte im Artushof machen sich mit einer Erkältung bemerkbar... na, Grund genug, zu Hause zu bleiben und alles nochmals gedanklich durchzugehen.

Gestern also erst die Buchvorstellung von "Die Box" in polnischer Übersetzung, Grass las erst persönlich, danach ein Schauspieler aus der polnischen Version, und anschließend die Diskussion über die Rezeption der "Blechtrommel".

Dafür bot der Artushof einen herrschaftlichen Rahmen: Unser Tisch wurde an der Stirnseite des Raumes aufgebaut, über unseren Köpfen schwebten einige hölzerne Schiffe, die an Ruhm und Reichtum vergangener (Hanse) Tage erinnern wollten, und hinter uns brach ein Hirsch aus der Wand (mein Mitstreiter Wojciech Boros bat mich recht inniglich, über diesen Hirsch zu schreiben. Was hiermit erledigt wäre). Und ganz zu unserer Rechten jener berühmte, prächtige Ofen: Was für ein Paradox, dass man mit diesem König der Öfen sich in einem Saal aufhält und trotzdem überlegt, wie einem bloß wärmer werden könnte...

Als die Diskussion anfing, hatte sich das Thema erledigt: Spannung lag in der Luft, schließlich saß der Autor, über dessen Werk wir diskutieren sollten, mitten unter uns: Und ich zu seiner Linken. Ich glaube, ich erzählte etwas von der Wurmlochartigkeit der Blechtrommel, und Grass beschwerte sich am Ende, dass die armen, jungen Autoren so auf die Trommel festgenagelt würden. Während er das sagte, befühlten seine feingliedrigen Hände die Löwenköpfchen seiner Stuhllehnen. Später, beim Abendessen im Radisson, haben wir einen Faden des Gesprächs wieder aufgenommen: Das Phantom der jetzigen Generation. Dazu aber mehr in einem anderen Eintrag... der Kräutertee ruft.

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Literatur. Sprache und Kunst

Es ist recht bezeichnend, dass ausgerechnet jener Post, der sich mit Grass beschäftigt, am meisten Resonanz kassierte. Wo sich die Älteren verraten fühlen, fühlen sich die Jüngeren gelangweilt, so das bisherige Meinungsbild, dass sich bei meinen Gesprächen ergeben hat. Außer die Schriftsteller, die wissen, was ich meine, wenn ich sage, dass ich vor der Blechtrommel den Hut ziehe. Dass die Kulturszene sich mehr als eingehend dem Werk Grass' widmet, muss nicht extra betont werden (siehe das Festival, das gerade statt findet: Grassomania)

Grass hat in der Blechtrommel nicht nur Inhalt gestaltet - der derartig polarisiert, dass etwas wesentliches häufig außer acht gelassen wird: Die Sprache. Hier wurde das Wort gestaltet, die Möglichkeiten des Ausdrucks neu erfunden, Motive ausgearbeitet, die in das kollektive, schriftstellerische Unterbewußtsein übergegangen sind.
Mein Respekt vor dieser Leistung ist also vorrangig der einer Schriftstellerin, von dieser Warte kann und darf man nicht überrascht sein, wenn man den Blog einer Schreibenden liest. Es geht, diesen Aspekt muss man hervorheben, um die Literarizität. Respekt vor einem Werk zu haben heißt nicht, ihm unkritisch gegenüber zu stehen.

Über all dies musste ich gestern nachdenken, bei einem ausgedehnten Spaziergang durch die alte Vorstadt, durch den Zabi Kruk (Poggenpfuhl), am Plac Walowy (Wallsplatz) vorbei, bis hinunter zu den Bastionen... in den vergangenen zwei Monaten ist mir Danzig in all seinen Erscheinungen sehr vertraut geworden, ich bin ungeheuer gespannt, was der morgige Tag birgt.