Mittwoch, 19. August 2009

Kulturhauptstadt. Danzig?

Gestern mit Slawek in einem Lokal auf der ulica Piwna gewesen und viel Kaffee getrunken. Slawek arbeitet in einem eigens ins Leben gerufenem Projekt-Büro, dass die Pläne schmiedet, wie Danzig in 2016 Europas Kulturhauptstadt werden könnte. Oder, besser gesagt: Einer von beiden Kulturhauptstädten, denn wenn jetzt schon fest steht, dass eine der beiden Städte eine polnische sein soll, so wird die zweite in Spanien liegen.
Beworben hat sich eine illustre Runde von polnischen Städten: unter anderem Warschau, Lódz und Lublin. Krakau nicht, wie Slawek erleichtert erzählte, Krakau war bereits vor einigen Jahren Kulturhauptstadt.

Nun also sitzen die klügsten, kulturversiertesten Köpfe dieser Städte in ihren Büros und erarbeiteten Konzepte, nicht nur, welche Festivitäten statt finden könnten, sondern wie die Kulturlandschaft ihrer Stadt langfristig bereichern könnten. Eine anspruchsvolle Aufgabe. Als man uns den ersten Kaffee serviert, erscheint es mir jedoch ein Kinderspiel. Danzig müsste doch eigentlich automatisch als Sieger hervorgehen, alles andere wären Formalitäten. Noch Kaffee zwei oder drei stellt sich alles als sehr viel diffiziler heraus. Wenn für mich, als Deutsche, Danzig ganz klar eine starke, kulturelle Konnotation in sich birgt - nicht zuletzt dank Günter Grass - so sieht es in den polnischen Köpfen ganz anders aus.

In Polen, erzählte Slawek, hätte Danzig einen politischen, geschichtlichen "Beigeschmack", mehr als alles andere. Natürlich gäbe es berühmte Autoren wie Chwin oder Huelle, die sich in ihren Werken mit dem Phänomen Danzig auseinandersetzten, aber ganz die jüngste, politische Vergangenheit Danzigs könnten sie nicht übertünchen. Überhaupt, die Einstellung der Danziger selber: Sie selber sähen ihre Stadt am kritischsten. Nichts würde hier passieren, nichts sich verändern, nichts spannendes hervortreten.

Ich verwehrte mich gegen diese Darstellung von Danzig. Hätte ich für mich selber drei Städte innerhalb Polens aufzählen müssen, die ich am stärksten mit Kultur in Verbindung bringe, Danzig wäre hundertprozentig unter ihnen gewesen. Kultur ist mehr als Tanz, Theater, Konzerte. Kultur ist die Gesamtheit aller Phänomene einer Stadt, und von denen hat Danzig wahrlich genug. Und dass Politik und Geschichte mit hinein spielen, ist nicht abträglich, sondern die Basis von all dem.

Dienstag, 18. August 2009

Wrzeszcz / Langfuhr

Rückeroberung der Stadt

Der Jarmark ist vorüber, endlich!
Gestern ging ein spürbares Aufatmen durch die Stadt, als die letzten Stände abgebaut wurden, der letzte Dreck weggefegt wurde, und die Schausteller sich gepflegt in den kleinen Parks hinter der Marienkirche betrunken haben. Ein unglaubliches Gefühl: Man geht die Langgasse hinunter, und hat tatsächlich freien Blick auf die Fassaden und das Pflaster vor seinen Füßen, kein Neon-Plastikspielzeug mehr, keine Frauenunterwäsche in Übergrößen, kein Billig-Makeup mehr, keine Wadenmassierer und Lendenwärmer aus Schurwolle und auch kein Silberschmuck mit giftgrünem Bernstein...

Auf dem Weg zur Post - fast schon gehört er zu meinen täglichen Ritualen, einmal, weil der Platz vor der Post tatsächlich einer meiner Lieblingsplätze ist, und zum zweiten, weil man es in Deutschland mehr als gut mit mir meint - bin ich zwei Obdachlosen begegnet, die in ausgedienten Kinderwägen ihre Habseligkeiten vor sich her schoben. Das war auf der ulica Straganiarska (weil ich mir in letzter Zeit einen Spaß daraus mache, alle Straßennamen auf ihre vormalige Benennung zu untersuchen: es handelt sich um die ehemalige Häkergasse).

Während des anschließenden Spaziergangs habe ich diese heimlichen Gestalten auf beinahe allen Straßen der Innenstadt gesehen: Auf Bänken, in Pärken, Bürgersteigen. Sie haben mich gerührt, in gewisser Weise ging von ihnen eine heilige Friedfertigkeit aus. Und das beruhigende Gefühl: Sie gehören zu Danzig, sind nicht eingespeister Tand, sondern Danziger, Mitmenschen. Einer hatte in seinem Einkaufswagen sein Bettzeug ordentlicher gestapelt, als ich es jemals getan habe.

Sonntag, 16. August 2009

Oliwa. Maria Himmelfahrt

Mit B. in Oliwa gewesen, ganz feierlich war uns zumute, wie wir unter den Bäumen gewandelt sind und an jeder Ecke auf Brautpaare trafen....schwarz für den Bräutigam scheint merkwürdigerweise unmodern geworden zu sein, die meisten der jungen Männer trugen Creme oder Grau. An den Teichen saßen eng umschlungene Teenager und starrten gebannt auf die Paare und ihre Gefolge, ab und zu tuschelten die Mädchen den Jungs etwas in ihre Ohren und kicherten.
Im Teich selber: Ein unentwirrbares Geflecht von hellgrünen Wasserpflanzen, die den Teich beinahe komplett ausfüllen. Ein riesiger Karpfen pflügte durch sie hindurch wie ein Mähdrescher zur Erntezeit, irgendwann blieb er stecken und bewegte sich nicht mehr. Ein altes Ehepaar, das an uns vorbei ging, besprach heimlich, ob man den Karpfen irgendwie dort herauskriegen könnte. Ich glaube, sie verschoben ihre Pläne für später am Abend.

Und dann die Kathedrale...ich liebe es, durch das vorgelagerte Portal in den Innenhof zu treten, eine Vorstufe zum eigentlich Eintritt in das Gotteshaus. Natürlich war eine Hochzeit im Gange, leise setzten wir uns zwischen die Gäste und hörten dem Gesang des Priesters zu. Die Türen der Kathedrale blieben geöffnet, warmer Wind von draußen mischte sich mit dem Geruch der weißen Lilien, die überall angebracht worden waren. Draußen knallte eine Flasche Sekt, unterdrücktes Lachen.
Nach einer halben Stunde waren wir gegangen, B. hatte es noch auf den Friedhof in der Nähe der Kathedrale gezogen. Wir fanden die Gräber einiger Männer, deren Todestag der 2. September 1939 war. In kaum zwei Wochen wird der Ausbruch des zweiten Weltkrieges nun 70 Jahre her sein. Eine abstrakte Zahl. So ein Grabstein ist viel konkreter, als alles andere jemals sein könnte.

Freitag, 14. August 2009

Der Till liegt im Detail

"Trau dich, ins Museum hereinzukommen" - mit diesem Spruch wirbt derzeit der Artushof um Besucher. Nicht nur wegen des Renaissance-Ofens lohnt es sich, ihn zu besuchen, sondern ebenfalls wegen der unglaublichen Wendeltreppe...
Diesmal hatte ich mir mehr Zeit mitgebracht, vor allem den Ofen und seine vielen Antlitze zu studieren. Welche Subtilität darin liegt, welche Könige ausgesucht wurden, den Ofen zu schmücken! Neben sächsischen und polnischen Königen - was mir geläufig war - wird die Front außerdem von Allegorien geschmückt, Eigenschaften, denen sich das Bürgertum, deren Vertreter sich Artushof trafen, besonders nahe wähnte: Vornean die Geduld und die Tüchtigkeit.
Wie ich da immer wieder um den Ofen trippelte und auch das preussische, polnische und das Danziger Wappen in Augenschein nahm, dachte ich, trifft mich der Schlag:
Die exponierteste Stellung im ganzen Ofen nimmt ein: Till Eulenspiegel!
In Danzig genoss er anscheinend eine große Popularität...Was ich gut verstehen kann, Ulenspegel ist eine großartige, literarische Figur. Eine meine Lieblingsepisoden ist, wie er begraben wird, ich bin so frei und bediene mich aus dem Gutenberg-Projekt:

"Bei Eulenspiegels Begräbnis ging es wunderlich zu. Denn als sie alle auf dem Kirchhof um den Sarg standen, in dem Eulenspiegel lag, legten sie ihn auf die beiden Seile und wollten ihn in das Grab senken. Da riß das Seil, das am Fußende war, und der Sarg schoß in das Grab, so daß Eulenspiegel in dem Sarg auf die Füße zu stehen kam. Da sprachen alle, die dabeistanden: »Laßt ihn stehen! Wunderlich ist er gewesen in seinem Leben, wunderlich will er auch sein in seinem Tod.« Also warfen sie das Grab zu und ließen ihn aufrecht auf den Füßen stehn.

Und sie setzten ihm einen Stein oben auf das Grab. Auf die eine Hälfte hieben sie eine Eule und einen Spiegel, den die Eule in ihren Klauen hält, und schrieben oben auf den Stein:

»Disen Stein sol nieman erhaben. Hie stat Ulenspiegel begraben. Anno domini MCCCL jar.«"

Donnerstag, 13. August 2009

Inspiration zu Berge



Wie wunderbar es ist, frisch verliebt zu sein!
Noch heute früh, vor meinem Ausflug auf den Hagelsberg (Góra Gradowa), hätte ich solche Gefühlswallungen nicht für möglich gehalten, hatte höchstens einen passablen Blick auf Stadt und Werften erwartet, ein paar verfallende Kasematten. Und dann war es Liebe auf den ersten Blick, mit allem Drum und Dran: Die Sicht auf Danzig ist viel umfassender als von der Marienkirche aus (eben weil man sie selber mit im Blick hat), atemberaubend, und als ich zum Kreuz aufblickte, das die Stadt Danzig im Jahr 2000 hier aufgestellt hat, schwindelte mir.
Das ist übrigens ein Effekt, der sich wiederholen lässt: Durch die dahinziehenden Wolken über dem riesenhaften Kreuz sieht es wirklich so aus, als wenn nicht die Wolken, sondern das Kreuz sich bewegen würde.
Aber dann: die Klatschmohnwiese, die sich über die alte Festung ausbreitet...was für eine Ruhe und Friedfertigkeit an einem solch historischen Ort, der seit 1000 Jahren durch verschiedene Hände gegangen ist, unter anderem durch preussische.
Die Gewölbe des Forts sind großzügig mit weichem, duftenden Gras bedeckt, verwoben ist es mit Kamillen und Wermut.
Als ich an der Robinie lehnte, die am Ende des Forts trotzig am Abgrund steht und nach Danzig hinunterwinkt, hat es mich wie mit einem Blitz durchzuckt: Dieser Ort wird sich mit Gewissheit einst literarisch wiederfinden lassen.

Mittwoch, 12. August 2009

Obdach

Für Liebhaber von Fachwerkarchitektur: Hinter der großen Mühle befindet sich ein wahres Juwel...darin befindet sich nebenbei ein Immobilienbüro.