Donnerstag, 24. September 2009

Zweierlei

Es gibt einen Grund, warum meine Spaziergänge und Streifzüge durch Wrzeszcz und die Untere Stadt in letzter Zeit etwas abgenommen haben (dennoch hat es gestern zu einem Bier in Nowy Port gereicht, unerkannt war ich, Polin - nicht aufgesetzte Stadtschreiberin, noch dazu aus Deutschland): Es gibt wahrhaft viel zu tun.
Von dem Blog sei keine Rede, nur soviel zu meiner Tätigkeit: Die Stadterzählung, von der ich neulich ein Fragment im Blog veröffentlichte, ist nicht das Hauptwerk, für das ich hier in Danzig recherchiere! Die Stadterzählung ist Beiwerk, eigentlich bin ich hier für den Roman. Dass mir das genannte und noch mehr soviel Zeit raubt, dass ich nurmehr zum recherchieren und konzipieren komme, ist nun jetzt einmal so.
Ich kann es selber kaum erwarten, endlich mit dem eigentlichen Schreiben zu beginnen. Allerdings: Es würde mich nicht wundern, wenn ein gewisser Abstand zu Danzig und seinen Gestalten dazu notwendig wäre. Danzig, ich habe es immer wieder gesagt, ist weder so einfach noch so gefällig, wie es sich in seiner Altstadt gibt.

Neue Dichter braucht das Land

Grzegorz Kwiatkowskis Augen blitzen im Licht der Spätsommersonne. Es ist das Blitzen der jüngsten, polnischen Lyrik: Kwiatkowski ist in Polen kein ganz unbekannter Name mehr - die Presse titelt: das enfant terrible der jungen Literatur - er hat bereits mehrere Gedichtbände herausgegeben und veröffentlichte in den wichtigsten Zeitungen Polens.

Ab und zu treffen wir uns zu einem Kaffee, reden über Romane und Lyrik, und es ist mir eine Ehre, erste Übersetzungen aus seinem rasant wachsenden Werk in meinem Blog vorstellen zu dürfen.
Hier also zwei Gedichte (die Originale sind im polnischen Blog zu finden), und ganz bald wird hier ebenfalls das e-book seines neuesten Bandes zu finden sein. Seine Homepage befindet sich hier: kwiatkowski.art.pl.


Künstler

beim Spaziergang am Fluss erblickte er eine Nymphe
im weißen Gewand mit Tang durchwirkt

gleich ist er nach Hause gerannt um Leinen Farben Pinsel zu holen
und kam an den Fluss zurück wo er bis zum Abend mit Blicken fischte

die Bewohner des Städtchens wunderten sich sehr über ihn
doch er sah, wie sie fünf Zentimeter über dem Wasser schwebte

das Bild wurde in der Sankt-Georgs-Kirche in Tinben aufgehängt
wo man es bis zum heutigen Tag bestaunen kann:

Maria Himmelfahrt
Gemälde aus dem Jahr 1680
Künstler: unbekannt


Ersatzlicht

es ist offensichtlich
dass man schreiben sollte über einen Stein einen Baum
die Form eines Hauses oder das Gesicht der Mutter

wenn ihr in den Gedichten
über Miłosz Pollock Rimbaud und Kafka lest
wisset, dass der Autor ein literarisches Solarium besucht hat

auf dem Schild des Solariums heißt es:
"Ersatzlicht für alle "
"besonders förderlich für Künstler also Ungeliebte"

Sonne wurde durch Druckfarbe verdeckt
Spaziergänge durch Beschreibungen der Landschaft ersetzt
Liebe verwandelte sich in billige Romanzen

es ist offensichtlich

Dienstag, 22. September 2009

Die neue Grundlage

Eigenartigerweise sagt mein neuer Teppich etwas über den Roman aus... nun traue ich mich kaum mehr, ihn zu betreten.

Parallel

Egoistisch sind Romane, egozentrisch und geizig an Aufmerksamkeit. Allein ihre Planung verschlingt jeden Nerv und jeden Gedanken, die Gedanken über Struktur und Aufbau sind die letzten, die ich abends hege, und morgens die ersten, die mich bestürmen.

Jetzt, wo es sehr konkret wird, ich an einzelnen Szenen und ihrer Konzipierung arbeite, muss ich mich zwingen, mein Browserfenster zu öffnen und zu meinem Blog zu finden. Auch das Schreiben der Stadterzählung fällt zurück, dafür füllt sich mein Heft mit den Aufzeichnungen zum Roman...

Gleich morgen früh aber werde ich einige Minaturen verfassen, noch bevor mich die Gedanken an den Roman ereilen. Denn dann fressen sie Inspiration, vertilgen sie restlos, nähren sich an ihr, werden fett und reifen.
Es ist eine gute Zeit.

Montag, 21. September 2009

Traumwelten

Heute nacht hatte ich einen eigenartigen Traum. Ich träumte, ich sei in Danzig unterwegs, irgendwo in der Innenstadt, vielleicht auf der Szeroka, und plötzlich hörte ich Leute, die "Feuer!" schrieen, hörte Fensterscheiben bersten, Häuser in sich zusammenbrechen. Ich ging schneller, plötzlich war ich in eine Rauchwolke eingehüllt, Stimmen um mich herum, laut war es, Explosionen überall, und der einzig klare Gedanke, den ich fassen konnte, war: Ich muss unbedingt ans Krantor und gucken, wie es ihm geht.

Als es endlich ruhiger wurde, bin ich die Szeroka hinuntergeeilt, hinab an die Motlawa, und für einen Moment durchzuckte mich der Gedanke: Wie dumm von mir, wer wusste schließlich schon, ob die Explosionen schon ein Ende hatten?
Die Straße um mich herum war verwüstet, ich erkannte sie kaum wieder, da war nur dieses diffuse Traumgefühl, zu wissen, wo man war, ohne dass man es sah. Durch den Rauch hindurch sah ich die Mauern des Krantors, nur waren sie viel zu klein, viel zu klein...

Dann bin ich aufgewacht. Das erste, was ich tat, war ans Fenster zu springen und mich rasch zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist und gut. Es war alles in Ordnung und gut. Vielleicht sollte ich aufhören, vor dem Einschlafen ein Geschichtsbuch über Danzig zu lesen. Ich muss Danzig vor meinen Träumen schützen.

Samstag, 19. September 2009

Stadterzählung

Endlich ein ordentliches Stück vorangekommen mit meiner Danziger Stadterzählung! Ein kleiner Kosmos entsteht unter meinen Händen, und weil der Umfang so klar abgesteckt ist, kann ich ihm bei seiner Entwicklung im wahrsten Sinne des Wortes zusehen. Danzig wird in diesem kleinen Büchlein schon leicht verwandelt, ich eigne es mir schreiberisch an, Figuren tauchen immer wieder auf, werden überzeichnet, dazu erfunden, und immer wieder passieren Dinge, wie sie eigentlich nicht passieren können. Und Sprache, immer wieder Sprache. Für das Schaffen einer Atmosphäre ist sie genauso wichtig wie das Beschriebene selber.

Eine der beschriebenen und fiktionalisierten Figuren ist mein Nachbar "Pan Malszewski". Als Kostprobe findet sich über ihn folgendes Fragment:


"Als ich nach Hause komme, liegt dort, im Halbdunkel des Treppenhauses, ein Schatten. Ich mache das Licht an, es ist Herr Malszewski, Herr Malszewski liegt vor seiner eigenen Wohnung hingeknüllt wie die Zeitung von vorvorgestern. Er hat es nicht aus seinem Ölzeug geschafft, der orange-gelbe Overall leuchtet dumpf vor sich hin. Im Treppenhaus riecht es jetzt nach Metall und Alkohol. Vielleicht war heute Zahltag.
Um an meine Wohnungstür zu gelangen, muss ich ganz nah an ihn herantreten. Guten Abend, Herr Malszewski, sage ich schüchtern, aber bekomme keine Antwort. Wie auch: Herrn Malszewskis Augen zeigen verdreht nach oben, sein Schnurrbart ist ganz wirr, man möchte ihn zurechtbürsten, wie man einem Kind über den strubbeligen Kopf fährt. Ein Speichelfaden tropft über das Kinn auf den Boden und kommt auf einer Stufe zu liegen.
Ich schließe mich in meiner Wohnung ein und kauere hinter meiner Tür: Denn die eigentliche Frage ist, ob Frau Malszewska zu Hause ist, oder ob sie erst noch nach Hause kommen wird.
Diesen Moment darf ich auf keinen Fall verpassen. Ich horche."

Montag, 14. September 2009

Bücher

Heute ist endlich mein lange ersehntes Paket mit Büchern aus Deutschland gekommen...ich fiebere schon darauf, die Seiten aufzuschlagen, sie abzutasten und aufzusaugen...Unter anderem liegt in dem Paket der neue Roman von Terezia Mora, "Der letzte Mann auf dem Kontinent".

Obwohl ich erst mein Sachbuch über Danziger Stadtgeschichte beenden wollte, konnte ich mich nicht beherrschen und habe bereits die ersten dreißig Seiten verschlungen...Mora ist eine ganz außergewöhnliche, völlig eigenständige und hinreissende Autorin. Ihr letzter Roman "Alle Tage" gehört meiner Meinung nach zu einem der besten der neueren deutschen Literatur. Ich glaube, sie könnte zu einem zweiten Wurf ähnlicher Reichweite angesetzt haben. Der letzte Mann lässt sich gut an, wieder das Spiel mit Perspektive und Erzählsituation, präziser Sprache und doch immer wieder - Komik.

Die nächsten Tage werde ich wohl verschwinden in meiner Lektüre, ich habe schon einige Orte aufgetan, wo sich das am besten tun lässt. Übrigens habe ich gestern auf der Westerplatte herausgefunden, wo meine Protagonistin - ich entwickle eine ungestüme Faszination und Sympathie für sie - arbeitet, und wo sie vorher ihren Einstieg in Danzig gefunden hat. Ich weiß nicht, wie lange es anhält, aber momentan bin ich begeistert!