Man soll die Woche nicht vor dem Sonntag loben: Wo gestern noch so atemberaubend schönes Wetter war, ist heute nur noch eine nasse Novemberkälte... Alles ist verhangen, ab und zu entschließt es sich, zu nieseln. Michal, sein kleiner Sohn Mateusz und ich hatten uns dennoch vorgenommen, endlich den Spaziergang zu unternehmen, von dem wir schon so lange reden:
Durch das untere Langfuhr, dem Ort Michals Kindheit.
Am Storchenhaus vorbei ("hier wurden Grass und ich geboren"), weiter zum Strießbach, wo die Jungsbande von damals im Sommer gebadet hat, sich von den Weiden über das kleine Sandufer hat fallen lassen. Schiffe schwimmen lassen, vor Blutegeln kreischend davonrennen. Heute ist der Strießbach begradigt, in Beton eingefasst, da bleibt wenig Platz für Fantasie oder Kinderspiele. Jetzt ist es die Erinnerung, die geteilt werden kann...sie ist immer das, was bleibt.
Dann, in der Nähe der Hallera: der kleine Laden, in dem man als kleiner Junge sein gesamtes Taschengeld für Autos und Kaugummis mit Stickern ausgegeben hat. Kleine Schätze. Damals, erzählte Michal, gab es hier kaum Autos (nicht vor 50, sondern vor 20 Jahren), dafür viel mehr Büsche und Sträucher als heute. Ganze Orchester von Spatzen hatten hier jeden Morgen Symphonien eingeübt.
Die Gärten der Nachbarn in der Nähe der Hallera, wo man Erdbeeren und Obst geklaut, der Park, in dem man Krieg gespielt hat. Alles wirkt auf einmal so klein. Der kleine Mateusz hat jedes Mal ganz große Augen gemacht, wenn ihm sein Vater erzählt hat, dass er hier als kleinere Junge gespielt hat. So, als ob er Geschichten hören würde aus längst, längst vergangenen Zeiten.
Sonntag, 15. November 2009
Freitag, 13. November 2009
Eimerweise Licht
Heute das erste Mal wieder seit längerem: Ein Sonnentag von solcher Vehemenz, dass mich vormittags nichts am Schreibtisch halten konnte, ich mich in meinen Wollpullover packte und durch das Treppenhaus hinaus auf die Straße rannte, gierig die Luft einsog und geblendet die Augen schloss.
Ganz klar also ein Fall für den Klassiker meiner Routen, durch die Niederstadt, zu der Schleuse, vorbei an den Bastionen und endlich um den Wallplatz herum, in die alte Vorstadt. Zum ersten Mal in diesem Herbst war es so kalt, dass die Spucke der Passanten auf dem Gehweg gefroren war, blitzend schossen die kleinen Eispfützchen die Sonnenstrahlen nach oben zurück. Jedes Loch, jede Ecke, jeder Winkel wurde durchflutet von dem Licht: die Kioske in den Hinterhöfen der Lakowa, die Vorgärten der verfallenden Villen.
Ein Licht also wie ein Seziermesser, nichts bleibt verborgen. Nicht der abblätternde Putz auf den Garagen der Dobra, nicht die fein ziselieren Balkongeländer auf der Polna oder der Zielona. Hinten an der Mottlau saßen mehr Angler als gewöhnlich, als hätten sie nur auf das gute Wetter gewartet, als hätten auch die Fische nur auf das gute Wetter gewartet und als hätten sich beide Parteien auf ein Stelldichein getroffen.
Bauarbeiten an der Schleuse, die Mütze ins Gesicht gezogen und schnell weiter. Das übliche Chaos am Leege Tor, die üblichen Fahrschulautos, die sich in der Nieder- und Vorstadt häufen. Dem Drang widerstehen, auf die Bastion Maidloch zu klettern und hinüber zum Bischofsberg zu sehen; nein, lieber weiter zum Wallplatz, im kleinen Zeughaus, am Kunstinstitut vorbeischauen, auch überprüfen, ob der alte Springbrunnen mittlerweile randvoll ist mit moderndem Geblätt (ja).
Schließlich zurück durch die Rzeznicka, schlagartig ist der Zauber verloren. Aber dort hinten, am Wallplatz, da ist er beheimatet.
Mittwoch, 11. November 2009
Tag der Unabhängigkeit
Heute, am 11. November, feierte Polen seinen Unabhängigkeitstag - vor genau 91 Jahren erlangte es, nach dem ersten Weltkrieg, seine Souveränität zurück. Somit ist es nicht nur ein Unabhängigkeitstag, sondern auch ein Tag der Freude und des Patriotismus: An jeder Häuserwand wehen Flaggen in Rot-Weiß, Kinder laufen mit Flaggen umher, mal so groß wie ihr Gesicht, mal so groß wie sie selber.
Ein Mittwoch des Ausnahmezustands! Alle Läden (so gut wie - in der Handvoll geöffneter Läden drängen sich die Leute, stehen Schlange bis hinauf auf die Straße. Um mir zwei Äpfel zu kaufen stand ich bestimmt zehn Minuten auf der Ogarna vor einem Laden) geschlossen, die geöffneten Cafés in der Innenstadt völlig überfüllt. Und die Menschenmengen, die unterwegs sind!
Wer hätte das etwa im August ahnen können, als sich Touristen über Touristen durch die Szeroka und die Dluga schoben: Nun, im November, sind die Danziger aus ihren Häusern gekommen und fordern die Innenstadt für sich! Eine Menschenmasse in Rot-Weiß.
Für die, die versehentlich noch keine Fahne, Flagge, Schal oder Jacke in jenen Farben heute trugen, stand eine Frau mit kleinem Wägelchen bereit, an der Kreuzung zwischen Tkacka und Dluga: Alles, was das Herz des Patrioten begehrte, lag dort und wartete auf Käufer.
Aber die meisten Passanten waren schon gut ausgerüstet. Eines aber gab es nirgendwo zu kaufen und war deshalb umso schöner anzusehen: Die Freude und die Ausgelassenheit der Menschen.
Und das Gefühl, dass sie sich nicht nur deshalb freuten, weil sie einen Tag frei bekamen, sondern: weil es etwas zu feiern gibt.
Ein Mittwoch des Ausnahmezustands! Alle Läden (so gut wie - in der Handvoll geöffneter Läden drängen sich die Leute, stehen Schlange bis hinauf auf die Straße. Um mir zwei Äpfel zu kaufen stand ich bestimmt zehn Minuten auf der Ogarna vor einem Laden) geschlossen, die geöffneten Cafés in der Innenstadt völlig überfüllt. Und die Menschenmengen, die unterwegs sind!
Wer hätte das etwa im August ahnen können, als sich Touristen über Touristen durch die Szeroka und die Dluga schoben: Nun, im November, sind die Danziger aus ihren Häusern gekommen und fordern die Innenstadt für sich! Eine Menschenmasse in Rot-Weiß.
Für die, die versehentlich noch keine Fahne, Flagge, Schal oder Jacke in jenen Farben heute trugen, stand eine Frau mit kleinem Wägelchen bereit, an der Kreuzung zwischen Tkacka und Dluga: Alles, was das Herz des Patrioten begehrte, lag dort und wartete auf Käufer.
Aber die meisten Passanten waren schon gut ausgerüstet. Eines aber gab es nirgendwo zu kaufen und war deshalb umso schöner anzusehen: Die Freude und die Ausgelassenheit der Menschen.
Und das Gefühl, dass sie sich nicht nur deshalb freuten, weil sie einen Tag frei bekamen, sondern: weil es etwas zu feiern gibt.
Montag, 9. November 2009
Erbe und Zitate
Auch wenn sich das (Strassen-)Bild einer Stadt im Laufe der Geschichte veraendert, bleibt vieles doch erkennbar, auch wenn es nicht detailgetreu wieder auf- oder umgebaut wurde. Auch innerhalb der Architektur wird zitiert, wird sich aus dem reichen Erbe der Stadtgeschichte und ihrer Bauweise bedient.
In der Gegend, in der ich wohne, musste bis auf die Kirchen am Anfang und Ende der Strasse, alles wieder aufgebaut werden. Man hat sich nicht an jedes Detail gehalten. Aber: Man hat sich an einen (ehemals) vorherrschenden Stil angepasst, beherzigte Giebel, schmale Fassaden. Laengst nicht so herausgeputzt wie auf der Dluga oder der Piwna, aber immerhin: formbewusst.
Architektonische Stile aendern sich, unterliegen einer staendigen Mutation (Resultate einer manchmal fragwuerdigen "Evolution" finden sich wohl an jedem Ort der Welt) - und doch, manchmal gelingt es, sich immer wieder auf sein aesthetisches Erbe zu besinnen und Entwicklung und Tradition in Einklang zu bringen.
Unter den gelungensten Vertretern der ganz neuen Architektur, die sich mit einem hanseatischen, Danziger Stil auseinandersetzt, befinden sich einige Wohnhaeuser zwischen der alten Vorstadt und der Niederstadt, auch die Planungen fuer einen Gebaeudekomplex neben dem Krantor verfolgen eine Mimikry-Technik: sich einfuegen, und, wenn moeglich, nicht auffallen. Man uebernimmt die Form, spielt mit Materialien: viel Fenster, Glas, Fragmentierung der Fassaden.
Danzig: Ein lebendiger, sich entwickelnder Ort. Es lohnt sich in die Gegenwart und die Zukunft zu schauen, nicht nur in die Vergangenheit!
In der Gegend, in der ich wohne, musste bis auf die Kirchen am Anfang und Ende der Strasse, alles wieder aufgebaut werden. Man hat sich nicht an jedes Detail gehalten. Aber: Man hat sich an einen (ehemals) vorherrschenden Stil angepasst, beherzigte Giebel, schmale Fassaden. Laengst nicht so herausgeputzt wie auf der Dluga oder der Piwna, aber immerhin: formbewusst.
Architektonische Stile aendern sich, unterliegen einer staendigen Mutation (Resultate einer manchmal fragwuerdigen "Evolution" finden sich wohl an jedem Ort der Welt) - und doch, manchmal gelingt es, sich immer wieder auf sein aesthetisches Erbe zu besinnen und Entwicklung und Tradition in Einklang zu bringen.
Unter den gelungensten Vertretern der ganz neuen Architektur, die sich mit einem hanseatischen, Danziger Stil auseinandersetzt, befinden sich einige Wohnhaeuser zwischen der alten Vorstadt und der Niederstadt, auch die Planungen fuer einen Gebaeudekomplex neben dem Krantor verfolgen eine Mimikry-Technik: sich einfuegen, und, wenn moeglich, nicht auffallen. Man uebernimmt die Form, spielt mit Materialien: viel Fenster, Glas, Fragmentierung der Fassaden.
Danzig: Ein lebendiger, sich entwickelnder Ort. Es lohnt sich in die Gegenwart und die Zukunft zu schauen, nicht nur in die Vergangenheit!
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Sonntag, 8. November 2009
Die Danziger Dimension
Beim abendlichen Bier in einer Kneipe am Ende der Szeroka (528 Meter von meiner Wohnung, 498 Meter von der Marienkirche und 30,5 Meter von der Mottlau entfernt, wenn man sucht) auf zwei junge, deutsche Touristen getroffen, ein Paerchen, das mich zoegernd angesprochen hat.
Noch nie waren sie in Polen gewesen, das erste Mal also: Der Schritt nach Osten, und dann gleich Danzig. Erzaehlten, wie lange sie abgewogen haben, wo sie den Urlaub verbringen wollten.
Eine Fahrt nach Danzig ist keine Bauchentscheidung, ist eine ganz bewusste Reise. Oft sind Familiengeschichten damit verbunden, und wenn nicht Erinnerungen an die Erzahlungen von den Grosseltern, so doch an den Geschichtsunterricht.
Jugendliche Touristen aus Deutschland sind denn auch viel seltener anzutreffen als solche der aelteren Generation. Das allerdings kann sich jederzeit aendern: Wenn sich erstmal jemand gegen Mallorca oder London entschieden hat, bekommt er in Danzig grosse Augen und rote Ohren. Das junge Paerchen war ganz begeistert von seinem Aufenthalt, sagten, sie wuerden nun ueberall von Danzig schwaermen. Wenn Danzig Kulturhauptstadt wird, was sehr zu wuenschen ist, werden hoffentlich noch mehr Leute den Weg hierher finden, auch ohne Familiengeschichte.
Noch nie waren sie in Polen gewesen, das erste Mal also: Der Schritt nach Osten, und dann gleich Danzig. Erzaehlten, wie lange sie abgewogen haben, wo sie den Urlaub verbringen wollten.
Eine Fahrt nach Danzig ist keine Bauchentscheidung, ist eine ganz bewusste Reise. Oft sind Familiengeschichten damit verbunden, und wenn nicht Erinnerungen an die Erzahlungen von den Grosseltern, so doch an den Geschichtsunterricht.
Jugendliche Touristen aus Deutschland sind denn auch viel seltener anzutreffen als solche der aelteren Generation. Das allerdings kann sich jederzeit aendern: Wenn sich erstmal jemand gegen Mallorca oder London entschieden hat, bekommt er in Danzig grosse Augen und rote Ohren. Das junge Paerchen war ganz begeistert von seinem Aufenthalt, sagten, sie wuerden nun ueberall von Danzig schwaermen. Wenn Danzig Kulturhauptstadt wird, was sehr zu wuenschen ist, werden hoffentlich noch mehr Leute den Weg hierher finden, auch ohne Familiengeschichte.
Donnerstag, 5. November 2009
Leege Tor
Immer wieder fasziniert mich das Leege Tor, seine alten, eisenbeschlagenen Holztüren und das Verkehrschaos, das sich in ihm entspinnt. Und auch: Seine Decke und die meterdicken Wände! Dadurch, dass so wenig Touristen herfinden, habe ich ein viel persönlicheres Verhältnis zu dem alten Stadttor aufgebaut als etwa zum Hohen oder zum Goldenen Tor. Stadttore sind für mich etwas besonderes. Sie sind der Schlüssel zu einer Stadt, Schutz und Aushängeschild zugleich.
Mittwoch, 4. November 2009
Wetter und Schreiben
Es ist schon so: Kälte, Regen, Schnee werfen den Menschen auf sich selbst zurück. Ich erinnere mich an ein Gespräch vor kurzem, welche Faktoren sich auf die Herausbildung von Kulturen (etwa der Mittelmeerraum im Vergleich zu nördlicheren Regionen) auswirken könnten, natürlich tauchte auch das Wetter auf, mit all seinen Konsequenzen auf Möglichkeiten der Landbestellung und der menschlichen Betätigung.
Natürlich bleibt vieles davon Spekulation. Mitteleuropa etwa liegt ungefähr in einer ähnlichen Wetterzone - und hat dennoch so unterschiedliche Kulturen hervorgebracht. Oder andersherum: Sind sie denn wirklich so unterschiedlich?
Aber ich habe mich verrannt und wollte über etwas ganz anderes schreiben (Auch wenn ich mich, ich muss es zugeben, häufiger mit solchen Gedanken beschäftige - und niemals über die Erkenntnis hinweg komme, eine Chimäre zu sein, als Halb-Deutsche, Halb-Polin).
Vielmehr ist es so: Kälte, Regen, Schnee werfen den Schriftsteller auf sich selbst zurück. In Danzig mag es nun endlich und unabänderlich ungemütlich werden. Der Wind peitscht die letzten Blätter von den Bäumen, im kleinen Park vor meinem Fenster liegt alles darnieder, sogar am Ahorn, der genau vor der Marienkirche zu stehen scheint, lichten sich die Reihen.
Regen, Schneeregen bringen auch den leidenschaftlichsten Spaziergänger zurück an den Schreibtisch, führen seine Finger zum Bleistift und lenken ihn über die Papierbahnen, die an der Wand hängen.
All die Substanz, die aufgesogen wurde, will sich nun in Fiktion verwandeln, in etwas Eigenes. Die alte Vorstadt und die Niederstadt, die Fortifikationen. Sie werden auferstehen auf dem Papier, bald schon, während draussen der Regen gegen die Scheiben drückt.
Natürlich bleibt vieles davon Spekulation. Mitteleuropa etwa liegt ungefähr in einer ähnlichen Wetterzone - und hat dennoch so unterschiedliche Kulturen hervorgebracht. Oder andersherum: Sind sie denn wirklich so unterschiedlich?
Aber ich habe mich verrannt und wollte über etwas ganz anderes schreiben (Auch wenn ich mich, ich muss es zugeben, häufiger mit solchen Gedanken beschäftige - und niemals über die Erkenntnis hinweg komme, eine Chimäre zu sein, als Halb-Deutsche, Halb-Polin).
Vielmehr ist es so: Kälte, Regen, Schnee werfen den Schriftsteller auf sich selbst zurück. In Danzig mag es nun endlich und unabänderlich ungemütlich werden. Der Wind peitscht die letzten Blätter von den Bäumen, im kleinen Park vor meinem Fenster liegt alles darnieder, sogar am Ahorn, der genau vor der Marienkirche zu stehen scheint, lichten sich die Reihen.
Regen, Schneeregen bringen auch den leidenschaftlichsten Spaziergänger zurück an den Schreibtisch, führen seine Finger zum Bleistift und lenken ihn über die Papierbahnen, die an der Wand hängen.
All die Substanz, die aufgesogen wurde, will sich nun in Fiktion verwandeln, in etwas Eigenes. Die alte Vorstadt und die Niederstadt, die Fortifikationen. Sie werden auferstehen auf dem Papier, bald schon, während draussen der Regen gegen die Scheiben drückt.
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