Nach fast drei Monaten muss ich mich nun, Ende Oktober, an ein Gespräch erinnern, dass ich mit einem Bekannten Anfang August geführt habe, in einem Café auf der Piwna - in jenem Café, in dem sich alle immer treffen und Kaffee trinken (das wusste ich damals noch nicht und dachte, ich hätte etwas entdeckt).
Der ungefähre Wortlaut war wohl, dass sich in Danzig, vor allem im Vergleich mit anderen Städten derselben Größenordnung, wenig tut, im Kunst- und Kulturbereich. Überhaupt sei das keine besonders kulturelle Stadt, viel eher politisch, wirtschaftlich konnotiert. Damals habe ich diese Meinung verblüfft geschluckt, hatte überlegt, ob es wohl stimmen könnte und falls ja, warum.
Jetzt, nach drei Monaten, schüttele ich den Kopf, wenn ich an dieses Gespräch zurück denke.
Allein von meiner Wohnung aus, in einem Umkreis von 500 Metern, findet sich soviel, dass ich gar nicht zu allem komme.
Die großartige Städtische Galerie auf der Piwna mit immer neuen Ausstellungen, die etwas wagen und zeigen wollen, nicht nur wiederholen; die neu eröffnete Grass-Galerie auf der Szeroka, wo nicht nur Kunst vom Meister gezeigt wird, sondern auch Vorträge und Diskussionen statt finden; und, um den Dreischritt zu vollenden, auf der anderen Seite des Flusses, das Zentrum für zeitgenössische Kunst Laznia: Auch dort alle naselang neue Ausstellungen, happenings, Aktionen.
Und das war nur eine kleine Auswahl.
Nach drei Monaten muss man einfach feststellen: In Danzig geht was. Man muss nicht einmal danach suchen, man muss sich nur darauf einlassen.
Sonntag, 25. Oktober 2009
Freitag, 23. Oktober 2009
So nah und doch so fern
Man kann also monatelang in einer Stadt wohnen, denken, man hätte schon alles gesehen, alle Viertel abgeklappert, und dann blieb, ausgerechnet, genau neben der Innenstadt ein blinder Fleck: der Bischofsberg, heute Biskupia Górka. Gestern habe ich diese Leerstelle auf meiner Danzig-Karte gefüllt, habe sämtliche Schnellstraßen, die Danzigs Innenstadt umgreifen, unterquert und mich an den Aufstieg gemacht.
Ein bißchen wie eine Insel thront der Bischofsberg über die Aleje 3ego Maja, seine Häuserzeilen formen trutzige Wehrburgen gegen den anbrandenden Verkehr. Gleich in seiner Nähe: Der Hagelsberg, die Góra Gradowa, der wesentlich mehr Touristen und Ausflügler anzieht, hinauf zu seinem Kreuz und den Kasematten, von denen man eine ausgezeichnete Sicht auf Danzig hat.
Die hat man auch vom Bischofsberg, aber noch mehr als das: Danzig offenbart eine weitere Facette seiner selbst. Ausgiebig habe ich schon Viertel wie die Niederstadt und die alte Vorstadt abgetastet, habe sie aufgesogen; und doch vermochten mich die ulica Biskupia und die ulica na stoku zu überraschen.
Neben den bereits oft gesehenen Löchern in Fassaden, die von Maschinengewehrsalven hineingerissen wurden, finden sich hier, halb verblichen, halb abgebröckelt: deutsche Schriftzüge an Hauswänden, oberhalb der Ladenlokale. Seifen wurden hier verkauft, auch Milch und Brot.
Aber auch die Stimmung in diesem Viertel ist anders. Den Blick brav gesenkt, betont unbeteiligt - ganz wie eine Einwohnerin - ging ich durch die Straßen, heimlich immer wieder nach oben spähend. Und doch: die Blicke der Leute verrieten, dass sie mich als Eindringling ausgemacht hatten, auch ein Hund wurde halb verrückt und folgte mir mit lautem Gebell die halbe Straße herauf. Ich habe mir nichts anmerken lassen.
Weiter oben, wenn man schon die Häuserzeilen der ulica Biskupia hinter sich gelassen hat, breitet sich ein kleines Wäldchen aus, eine alte Festungsanlage lässt sich finden, ein emporragender Glockenturm. Teile des Hügels sind nicht zugänglich, da sie von einer Polizeikaserne beansprucht werden. Perspektive ist alles: Neulich noch sah ich den Glockenturm von der Bastion Maidloch aus, nun genau darunter zu stehen vervollständigt das Bild, gibt ihm tiefere Dimension.
An diesem Ort, so abweisend oder wenig besucht er heute wirken mag, fand doch Geschichte statt. Im Juni 1946 wurden hier elf Kriegsverbrecher (unter anderem fünf deutsche Aufseherinnen, eine mit dem in die Irre führenden Namen: Ewa Paradies) gehängt - von ehemaligen Häftlingen des Lagers, die die Verurteilten von den Laderampen der LKWs schubsten.
Ich habe den Bischofsberg recht schnell wieder verlassen. Die Zeit jedoch, die ich dort verbracht habe, steht in keiner Proportion zu dem Eindruck, den das Viertel auf mich gemacht hat!
Ein bißchen wie eine Insel thront der Bischofsberg über die Aleje 3ego Maja, seine Häuserzeilen formen trutzige Wehrburgen gegen den anbrandenden Verkehr. Gleich in seiner Nähe: Der Hagelsberg, die Góra Gradowa, der wesentlich mehr Touristen und Ausflügler anzieht, hinauf zu seinem Kreuz und den Kasematten, von denen man eine ausgezeichnete Sicht auf Danzig hat.
Die hat man auch vom Bischofsberg, aber noch mehr als das: Danzig offenbart eine weitere Facette seiner selbst. Ausgiebig habe ich schon Viertel wie die Niederstadt und die alte Vorstadt abgetastet, habe sie aufgesogen; und doch vermochten mich die ulica Biskupia und die ulica na stoku zu überraschen.
Neben den bereits oft gesehenen Löchern in Fassaden, die von Maschinengewehrsalven hineingerissen wurden, finden sich hier, halb verblichen, halb abgebröckelt: deutsche Schriftzüge an Hauswänden, oberhalb der Ladenlokale. Seifen wurden hier verkauft, auch Milch und Brot.
Aber auch die Stimmung in diesem Viertel ist anders. Den Blick brav gesenkt, betont unbeteiligt - ganz wie eine Einwohnerin - ging ich durch die Straßen, heimlich immer wieder nach oben spähend. Und doch: die Blicke der Leute verrieten, dass sie mich als Eindringling ausgemacht hatten, auch ein Hund wurde halb verrückt und folgte mir mit lautem Gebell die halbe Straße herauf. Ich habe mir nichts anmerken lassen.
Weiter oben, wenn man schon die Häuserzeilen der ulica Biskupia hinter sich gelassen hat, breitet sich ein kleines Wäldchen aus, eine alte Festungsanlage lässt sich finden, ein emporragender Glockenturm. Teile des Hügels sind nicht zugänglich, da sie von einer Polizeikaserne beansprucht werden. Perspektive ist alles: Neulich noch sah ich den Glockenturm von der Bastion Maidloch aus, nun genau darunter zu stehen vervollständigt das Bild, gibt ihm tiefere Dimension.
An diesem Ort, so abweisend oder wenig besucht er heute wirken mag, fand doch Geschichte statt. Im Juni 1946 wurden hier elf Kriegsverbrecher (unter anderem fünf deutsche Aufseherinnen, eine mit dem in die Irre führenden Namen: Ewa Paradies) gehängt - von ehemaligen Häftlingen des Lagers, die die Verurteilten von den Laderampen der LKWs schubsten.
Ich habe den Bischofsberg recht schnell wieder verlassen. Die Zeit jedoch, die ich dort verbracht habe, steht in keiner Proportion zu dem Eindruck, den das Viertel auf mich gemacht hat!
Donnerstag, 22. Oktober 2009
Mittwoch, 21. Oktober 2009
Festungswälle und Bastionen
Einer meiner Lieblingsorte in Danzig ist ganz entschieden die alte Steinschleuse geworden, die die Niederstadt von der Vorstadt trennt.
Gleich hinter dem schmalen Leege Tor - die Durchfahrt ist einspurig, und so gibt es immer ein großes Gerangel darum, wer als erster durchfahren darf, ein großes Gehupe und Gedrängel - türmen sich die Erdkegel der Bastion Maidloch und der Bastion Gertrud auf. Und dahinter, eine bewaldete Wand: der Bischofsberg, bunt getupft und schon arg mitgenommen von den vergangenen Stürmen.
Aber zurück zu der Steinschleuse: Wo im Sommer Kinder umhersprangen und sich in das trübe Wasser schubsten, herrscht nun Stille, Schwäne gleiten durch den Nebel, der sich über die Wasser der Mottlau gelegt hat, und verschwinden mal in den Schwaden, mal im Schilf des Ufers.
Wenn man mutig ist, kann man auf den verfallenen Resten der Steinschleuse balancieren, kann von Granitblock zu Granitblock springen, um schließlich klopfenden Herzens den Aufstieg auf die Krone der Bastion Gertrud zu unternehmen. Einst ließen sich hier in diesen Wällen, die aufgeschüttet wurden aus der Erde und dem Dreck der Stadt, zuhauf Porzellanreste und Münzen finden. Nun ist alles grasüberwuchert, keine Chance, an den Grund zu gelangen.
Von oben hat man eine wunderbare Sicht auf die Niederstadt, dieses wunderbare Viertel: auf den Wallplatz, das alte städtische Leihhaus, und schließlich das kleine Zeughaus, in dem nun ein Institut der Kunsthochschule residiert. Im Innenhof stehen die Fingerübungen der angehenden Bildhauer: Oberkörper, Tiere, Fabelwesen liegen da wild durcheinander, gucken aus dem Nebel heraus den Fußgänger an. Vielleicht das poetischste Bild, das sich finden lässt, weit und breit.
Und da, ganz weit hinten: Die Marienkirche, auch der Turm des Rathauses. Wie weit weg das alles scheint!
Hier gibt es vorerst Spannenderes zu entdecken: Von hier oben lässt sich am Fuß der Bastion Maidloch eine Öffnung ausmachen, die sich später als Fledermaushöhle entpuppen soll: Wer hineinblickt, den umweht ein kalter Hauch. Ein Königreich für eine Taschenlampe!
Gleich hinter dem schmalen Leege Tor - die Durchfahrt ist einspurig, und so gibt es immer ein großes Gerangel darum, wer als erster durchfahren darf, ein großes Gehupe und Gedrängel - türmen sich die Erdkegel der Bastion Maidloch und der Bastion Gertrud auf. Und dahinter, eine bewaldete Wand: der Bischofsberg, bunt getupft und schon arg mitgenommen von den vergangenen Stürmen.
Aber zurück zu der Steinschleuse: Wo im Sommer Kinder umhersprangen und sich in das trübe Wasser schubsten, herrscht nun Stille, Schwäne gleiten durch den Nebel, der sich über die Wasser der Mottlau gelegt hat, und verschwinden mal in den Schwaden, mal im Schilf des Ufers.
Wenn man mutig ist, kann man auf den verfallenen Resten der Steinschleuse balancieren, kann von Granitblock zu Granitblock springen, um schließlich klopfenden Herzens den Aufstieg auf die Krone der Bastion Gertrud zu unternehmen. Einst ließen sich hier in diesen Wällen, die aufgeschüttet wurden aus der Erde und dem Dreck der Stadt, zuhauf Porzellanreste und Münzen finden. Nun ist alles grasüberwuchert, keine Chance, an den Grund zu gelangen.
Von oben hat man eine wunderbare Sicht auf die Niederstadt, dieses wunderbare Viertel: auf den Wallplatz, das alte städtische Leihhaus, und schließlich das kleine Zeughaus, in dem nun ein Institut der Kunsthochschule residiert. Im Innenhof stehen die Fingerübungen der angehenden Bildhauer: Oberkörper, Tiere, Fabelwesen liegen da wild durcheinander, gucken aus dem Nebel heraus den Fußgänger an. Vielleicht das poetischste Bild, das sich finden lässt, weit und breit.
Und da, ganz weit hinten: Die Marienkirche, auch der Turm des Rathauses. Wie weit weg das alles scheint!
Hier gibt es vorerst Spannenderes zu entdecken: Von hier oben lässt sich am Fuß der Bastion Maidloch eine Öffnung ausmachen, die sich später als Fledermaushöhle entpuppen soll: Wer hineinblickt, den umweht ein kalter Hauch. Ein Königreich für eine Taschenlampe!
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Dienstag, 20. Oktober 2009
Montag, 19. Oktober 2009
Genius loci
Am Freitag also die Lesung auf dem mitost-Festival in Danzig. Zwölf Seiten Stadterzählung und eine Stille im Raum, dass ich die Leute in der ersten Reihe atmen hören konnte. Nach der eigentlichen Lesung dann eine Diskussion, die länger als der erste Teil dauerte: Jeder hatte eine Frage loszuwerden, generell zur Literatur oder zu Danzig, aber auch ganz speziell zum Schreiben, meiner Aufgabe in Danzig, Pflichten und Freiheiten, dem Stipendium.
Selten habe ich bei fremden, aber auch bei eigenen Lesungen eine so offene und heitere Atmosphäre erlebt. Es war großartig, danke!
Die Lesung wie das Festival fanden in den Räumen des Kino Neptun in der Langgasse statt, allein schon der Ort hat viel versprochen: die ausladende Eingangshalle, der Aufgang, und schließlich die kleineren, mit Einzelsesseln ausgestatteten Kinosäle. Und draußen, vor den Fenstern: Die berühmten Giebel der ulica Dluga...
Ein, zwei Mal ist meine Aufmerksamkeit während des Lesens nach draußen gerutscht, auf das kalt-nasse Pflaster der Langgasse, bis vor das Rathaus und den Neptun geschlittert (das Wetter hatte sich am Freitag wieder beruhigt - dennoch hatten die Gäste, die von Deutschland aus mit einer Fähre nach Danzig übersetzen wollten, nach Helsinki ausweichen müssen!) und erst dann wieder zurückgekehrt.
Genius loci!
Agnieszka saß ganz tapfer zwischen den Zuhörern, in der hintersten Reihe, so dass wir am Ende zusammen auf ein Bier gehen konnten.
Vorbei am Hohen Tor, der Peinkammer und dem Gefängnisturm (es nieselte, und überall spiegelte sich das orangene Licht der Straßenlaternen), in Richtung des Altstädtischen Rathauses, in dessen Kellergewölbe sich ein Irish Pub befindet. Beim Bier daran denken, dass oberhalb, vor über 300 Jahren, Johannes Hevelius nicht als Bierbrauer, sondern als Ratsherr saß...
Das Rathaus ist das einzige Gebäude, das in jenem Bereich Danzigs nicht zerstört wurde. Die Kontinuität dieses Gebäudes hat denn auch etwas wundersames! Nur an das Guinness muss man sich gewöhnen.
Selten habe ich bei fremden, aber auch bei eigenen Lesungen eine so offene und heitere Atmosphäre erlebt. Es war großartig, danke!
Die Lesung wie das Festival fanden in den Räumen des Kino Neptun in der Langgasse statt, allein schon der Ort hat viel versprochen: die ausladende Eingangshalle, der Aufgang, und schließlich die kleineren, mit Einzelsesseln ausgestatteten Kinosäle. Und draußen, vor den Fenstern: Die berühmten Giebel der ulica Dluga...
Ein, zwei Mal ist meine Aufmerksamkeit während des Lesens nach draußen gerutscht, auf das kalt-nasse Pflaster der Langgasse, bis vor das Rathaus und den Neptun geschlittert (das Wetter hatte sich am Freitag wieder beruhigt - dennoch hatten die Gäste, die von Deutschland aus mit einer Fähre nach Danzig übersetzen wollten, nach Helsinki ausweichen müssen!) und erst dann wieder zurückgekehrt.
Genius loci!
Agnieszka saß ganz tapfer zwischen den Zuhörern, in der hintersten Reihe, so dass wir am Ende zusammen auf ein Bier gehen konnten.
Vorbei am Hohen Tor, der Peinkammer und dem Gefängnisturm (es nieselte, und überall spiegelte sich das orangene Licht der Straßenlaternen), in Richtung des Altstädtischen Rathauses, in dessen Kellergewölbe sich ein Irish Pub befindet. Beim Bier daran denken, dass oberhalb, vor über 300 Jahren, Johannes Hevelius nicht als Bierbrauer, sondern als Ratsherr saß...
Das Rathaus ist das einzige Gebäude, das in jenem Bereich Danzigs nicht zerstört wurde. Die Kontinuität dieses Gebäudes hat denn auch etwas wundersames! Nur an das Guinness muss man sich gewöhnen.
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