Mittwoch, 12. August 2009

Gedächtnis der Orte

Als ich nach Hause gekommen bin, habe ich einen Zettel gefunden, den man mir vor die Tür gelegt hatte: Ein Paket sei für mich angekommen, abzuholen bei der Polnischen Post. Natürlich bei der Polnischen Post, wo denn sonst, dachte ich, bis ich genauer auf den Abholschein schaute: Mein Paket wartete in der Polnischen Post auf mich. Erst vor Ort konnte ich es glauben: Bislang hatte ich gedacht, in dem massiven, ausladenden Backsteingebäude sei einzig ein Museum, aber tatsächlich ist dort nach wie vor eine reguläre Poststelle untergebracht. Die Fahnen der polnischen Post an der Eingangstür sind keine Dekoration.
Merkwürdig feierlich war mir zu Mute, als ich über den weiten Platz auf die Post zu ging, den gelben Zettel in der Hand. Kein Foto habe ich geschossen, wie die anderen Touristen, die dahin gefunden hatten, nicht vorsichtig bin ich um das Gebäude herum gestakst, schnurstracks bin ich durch die Eichentür hindurch und ins Innere. Eine Post wie eine Burg...
Und dann am Schalter: Ein vergrämtes Mütterlein, umgeben von vergilbten Umschlägen, Kaffeepackungen, Melissetee, Grablichtern, Spitzentischdeckchen, Glitzeraufklebern. Nur ungern ließ sie sich von mir und meinem Zettel stören. Aus welchem Land wurde das Paket verschickt?
Ich weiß es nicht, antwortete ich, ich habe es ja noch nicht bekommen.

Plötzlich ein Knall von draußen, deutlich drang er durch das angekippte Fenster des Mütterleins. Er ging mir mitten ins Mark, ich zuckte zusammen. Dann, natürlich, die Erleichterung: Es war bloß ein Reifen, ein Luftballon, irgendetwas. Für einen Moment hatte ich mich besessen gefühlt vom Gedächtnis' des Ortes, als würde sich die Post erinnern, ihr Trauma mit sich tragen und kontinuierlich ausstrahlen.
Ähnliche Beklemmung hatte ich gespürt, als ich vor Brösen riesige Schiffe kreuzen sah. Soll ich mich dafür schelten? Ich bin der festen Überzeugung, dass Orte eine Erinnerung in sich tragen, wie Menschen, und wie bei Menschen kann man sie herausfühlen. In Danzig ist das sehr viel. Da erstaunt es nicht, dass man manchmal sehr müde nach Hause kommt.
In dem Paket waren übrigens ein paar Tafeln Schokolade und ein eng beschriebenes Papier. Das Paket kam aus Deutschland.

Montag, 10. August 2009

Meer sehen

Die Flucht vor den Menschenmassen ist nur bedingt geglückt. Wenn die eine Hälfte der Danziger und sämtlicher sich in der Region befindender Touristen sonntags nach Sopot pilgern, zieht es die andere Hälfte nach Brzezno (Brösen).
Schon von der Straßenbahnhaltestelle schoben sich ganze Kolonnen in Richtung Strand, vorbei an Gofry- (Waffeln), Lody (Eis-) und Ryby-(Fisch-) Ständen. Eine alte Frau, von der ich mir nun einbilde, sie sah aus wie eine Fischersfrau, verkaufte geräucherte Flundern, leider habe ich mich getraut, mir eine zu kaufen. Ein Grund, zurückzukehren.

Und dann also der Strand. Hatte durchaus Ähnlichkeit mit der Ulica Dluga (Langgasse) in Gdansk, nur dass die Leute lagen, sich nicht schwerfällig in Richtung Neptun schoben, und generell weniger anhatten. Das Meer selber: Unbeeindruckt, ruhig, dunkel...nach anfänglicher Verzweiflung hatte ich doch einen halben Quadratmeter freien Platzes gefunden und mich für ein paar Minuten hingesetzt. Schön, wie die Danziger Buch Brzezno umarmt....nach lings hinaus ging die Promenade weiter nach Jelitkowo (Glettkau), wo sich früher die Mole befand, heute ist sie in Brzezno. Anders als in Sopot muss man nicht bezahlen, um sie zu betreten.

Als ich mich satt gesehen hatte, schulterte ich meinen kleinen Rucksack und ging ein paar hundert Meter weiter ostwärts, erst am Strand, dann wieder gen Promenade und Wäldchen.
Plötzlich wurde das Pflaster bucklig, alte Linden säumten die Wege, und als ich aufsah, befand ich mich unversehens in einem Fischerdorf von Anfang des 20. Jahrhunderts. Kleinteilige Backsteinbauten, einige Kurhäuser, Zahnfriese. Gewundene Straßen, hinter den Holzzäunen meterhohe Bechermalven. Was für ein Gegensatz zum Strand, der nur wenige Meter davon entfernt war....Friede, einfach so.
Dahinter freilich klotzig-hässliche Wohnblocks, die mit ihrer überbordenden, physischen Präsenz drohen, das alte Fischerdorf ins Meer zu stoßen. Es ist alles eine Frage des Blickwinkels. Vor allem in Brzezno.

Sonntag, 9. August 2009

Nur in deinem Kopf

Vorgestern im Theater gewesen, gestern im Atelier von Ines. Einmal eine monologische Vorstellung der Geschichte des Theater mit Shakespeare-Versatzstücken, einmal eigenwillige Kohlezeichnungen von Grenzsteinen und Genitalien...
In beiden Fällen, sichtbare Kunst, nach außen getragene Konzepte, die visuell (natürlich nicht nur) rezipiert werden können - für einen kleinen Moment hat mich der Neid gestreift, und der aberwitzige Gedanke, zum Telefon zu greifen und Herrn S. in P. anzurufen und kundzutun: Das mit dem Schreiben über Danzig habe sich erledigt, nun werde Danzig gemalt und performativ dargestellt.

Diese Idee habe ich dann rasch wieder verworfen, und doch blieb ein bittersüßer Nachgeschmack. Als Schriftsteller ist man hauptsächlich allein. Natürlich, man kann im Café schreiben, aber das ist es nicht. Die Ideen und Texte bleiben bis zuletzt, und schließlich auch nach ihrer Fertigstellung, nur alleine erfahrbar. Im Kopf.
Um es dort auszuhalten, in den Monaten des Schreibens, muss man es sich bequem dort einrichten. Trotzdem bleibt es nicht aus, dass man es früher oder später nicht länger aushält, im eigenen Kopf.
Heute plane ich die Stadt- und Kopfflucht, raus ans Meer. Vielleicht gelingt es mir.

Freitag, 7. August 2009

Synaptische Labyrinthe

Morgens erste Schreibversuche an einer möglichen Szene, sehr intensiv, bis weit nach Mittag. Dann hinaus in den Sonnenschein und in den Wind, der in Danzig immer weht, und das plötzliche Erstaunen darüber, an dem Ort zu sein, über den man schreibt. Als wenn man gar nicht richtig aus seinem Kopf heraus gekommen wäre, und sich aufgrund einer eigenartigen Fehlschaltung der Synapsen weiterhin in den Labyrinthen seines Gehirns bewegt.

Ich kann es kaum erwarten, am Wochenende einmal herauszukommen aus der Danziger Innenstadt: Wenigstens bis nach Oliwa soll es gehen, in den Park, oder ans Meer, ein bisschen Weite genießen. Eine Freundin hat mich in die Kaschubei eingeladen, ich bin sehr versucht. Auch das steht noch auf meiner Liste: Das Umland erkunden, in dem Danzig eingebettet liegt. Oft sagen Umgebungen mindestens genauso viel über die Stadt aus wie die Stadt selber.

Donnerstag, 6. August 2009

Wielki Mlyn / Große Mühle




Heute erbost von einem Spaziergang durch die Altstadt zurück gekommen, sonst eigentlich eines der Gebiete in Danzig, die mir sehr lieb sind: Am Kanal Raduni/Radaune-Kanal entlang, sich unter eine der Weiden setzen und die Nase in ein Buch stecken...

Vor allem für Liebhaber von (großen) Backsteinbauten ist die alte Mühle eine wahre Pracht, so auch für mich. Lange Zeit konnte ich mich daran nicht satt sehen, und habe mir absichtlich einen Besuch des Inneren vorerst versagt .... um ja kein Detail des Äußeren zu verpassen, nichts unbesehen zu lassen.
Dann heute die grandiose Idee, sich nun endlich das "centrum handlowe", das Einkaufszentrum, das sich im Innern der Mühle verbirgt, in Augenschein zu nehmen.
Schwer, die Regungen, die beim Hineingehen auftreten, in eine Ordnung zu bringen: Migräne-Anfall, der dringliche Wunsch, sofort rückwärts wieder hinauszugehen, wegrennen.
In der großen Mühle wird Ramsch verkauft, es stinkt nach Plastik, und: es ist leer, einzig ein paar enttäuschte Touristen tapsen umher. Wenn ich den ganzen Ramsch und Kitsch auf dem Jarmark geschluckt habe, dann vor allem deswegen, weil er in zwei Wochen wieder vorbei sein wird. Aber muss man wirklich ein solch prächtiges Gebäude wie die große Mühle derart entweihen?
Ich denke an die Tuchhallen in Krakau, was dort verkauft wird, ist ebenfalls nichts, was es nicht woanders auch gebe. Aber wenigstens macht es nicht die Augen tränen.

Mittwoch, 5. August 2009

Island in the Sun



Heute ein Streifzug durch Danzig mit zwei ungeheuer intelligenten Frauen: Ines, einer portugiesischen Malerin, und Agnieszka, einer polnischen Kulturwissenschaftlerin. Ines' Ehe ist ein besonders interessanter Fall: Sie folgt nicht dem Muster, polnische Frau, ausländischer Mann, sondern genau umgekehrt, vor vier Jahren hat sie in London ihren Radek geheiratet. Und lebt nun in Gdansk.
Die Polen, sagt sie, seien sehr aufgeschlossene Menschen, gastfreundlich und überschwänglich. Auch wenn sie wegen ihres Tatoos und ihres Akzentes komisch angeschaut wird. Neulich in der Bar habe ihr jemand vorgehalten, dass es in Portugal so viele Schwarze gebe. Da hat sie sich auf dem Absatz umgedreht und ist gegangen.-

Gemeinsamer Ausflug auf die Speicherinsel, später. Ihre Ruinen ragen weit in den Danziger Himmel, ich dachte bislang, man ließe sie bewusst stehen, gleichsam als mahnende Erinnerung daran, wie die Stadt nach dem Krieg aussah. Agnieszka hat mich ausgelacht, mich naiv genannt und idealistisch. In Wirklichkeit, sagte sie, könnten sich die Besitzer der Grundstücke auf der Insel nicht zusammenraufen, nur einiges gehöre der Stadt, der Rest sei in privater Hand. Eigentlich wolle man das Flussufer um moderne Architektur bereichern.
Sind Ruinen so unmodern?

Dienstag, 4. August 2009

Was schön ist

An einem Antyki-Stand auf der ulica Straganiarska: Das leise Klirren der Kronleuchter im Wind