Montag, 24. August 2009

Störfrequenz

Und plötzlich bemerkenswerte Bilder dort, wo man sie nicht erwartet hätte; Arglos war ich ins Uphagen-Haus hineinspaziert, wollte mir den Nachmittag mit bürgerlicher Wohnkultur versüßen, und wie ich durch die Flure mit den Barockmöbeln und Biedermeier-Stühlchen spaziere, treffe ich plötzlich auf eine kleine Ausstellung, deren Gemälde ich auf den ersten Blick als epigonale Impressionismus-Spielereien abtue, gefällige Pastelltöne, nette Farbchangierungen, gar nicht unähnlich der "Kunst", die draußen auf der Straße den Touristen verkauft wird. Hübsche Ansichten von Gdansk, das Krantor bei Sonnenaufgang oder die Frauengasse bei Sonnenuntergang.

Dann, mit müdem Blick über die Bilder gestreift, eine Irritation: Irgendwas stimmt hier nicht, und zwar ganz und gar nicht. Die eben noch so einschmeichelnde Darstellung des Langen Ufers...mit fast völlig zerstörtem Krantor, die Bürgerhäuser daneben nur noch eine weggebrochene Zahnreihe. Auf den anderen Bildern, die zerschlagene Peinkammer, das niedergedrückte Hohe Tor, eine Wüste von Stadt. Und alles in Rosa und Flieder, Punkt an Punkt gereiht, so leicht zu übersehen, was hier eigentlich dargestellt wird…

Der Künstler heißt übrigens Ignacy Klukowski und war maßgeblich an der Rekonstruktion Danzigs und der Restaurierung vieler Skulpturen und Gemälde beteiligt. Als hätte Klukowski, bevor er sich an den Aufbau hatte machen können, erst die Vernichtung auf-zeichnen musste.

Samstag, 22. August 2009

Danzig à l'intime

Vor sechs Uhr morgens ist man mit Danzig allein, die Mottlau liegt schlafend da, das Krantor hüllt sich in Schweigen. Barylka und Goldwasser haben die Stühle noch nicht an die Tische gestellt, ein paar Möwen treiben verschlafen auf dem Wasser...

Was für eine wunderbare Option: Wenn man morgens um fünf nicht mehr einschlafen kann, weil einem eine Szene nicht aus dem Kopf geht, die man Tags zuvor noch entworfen hat, in die Schuhe zu fahren, in ein paar hundert Metern an der Brücke zu stehen und noch gar nicht richtig zu begreifen, wo man ist und warum...

Die sagenhafte Leere. Als hätte man in den letzten Tagen einvernehmlich beschlossen, Danzig zu verlassen, und alle wussten davon, nur ich nicht. Man sieht so viel mehr: Die Regenrinnen der Häuser, die Friese, die Schafgarbe, die aus einem Mauervorsprung herauswuchert. Den Leib Danzigs ganz vorsichtig betasten, sich an ihm entlang-tasten, dann, wenn noch keiner guckt, ihn keiner streitig macht und für sich beansprucht. Heute früh um halb sechs hat Danzig mir allein gehört.

Freitag, 21. August 2009

Das Holz und seine Borke

Eine Ausstellung von Jan de Weryha-Wysoczanski in der Galeria Miejska (Stadtgalerie)! Ich habe es mir nicht nehmen lassen, zusammen mit Ines auf der Vernissage zu erscheinen, der Malerin aus Portugal (obwohl sie im ersten Monat schwanger ist, arbeitet sie täglich an den Werken für ihre Ausstellung im November - von ihrer Arbeitsmoral könnte sich so mancher eine Scheibe abschneiden...).Der ausgestellte Maler: Eine Danziger Eminenz, die ihren Hauptwohnsitz allerdings in Hamburg hat.

Die Vernissage das ganz übliche: Ein großes Gedrängel, Gerangel um die Häppchen und die Gläser Weißwein, der Künstler und seine gelächelte Zurückhaltung. Die Werke überraschend wohltuend...ganz sensibel wird da mit dem Material Borke und Holz umgegangen, sich ihm angenähert, es auch formal nachempfunden. Ich fühlte mich stark an Andy Goldsworthy erinnert, da vor allem an "Rivers and Tides"...ordnende, gefühlige Land Art, das war genau das, was ich an dem Abend brauchte.

Leider litten die Ausstellungsobjekte etwas unter der Fülle der Besucher, die versehentlich auf Holzstäbchen traten, Rindenreliefs befingerten und sich an eine Borkensäule anlehnten. Das aber als der inspirierte Moment des Abends: Die Säule thronte in der Mitte des Baumes wie ein Baum, automatisch nahm man an, es müsse sich um einen tonnenschweren Koloss handeln. Als sich der junge Mann daran anlehnte, fing sie sofort an sich zu bewegen und zu schwanken. Ich werde die Ausstellung sicherlich nochmals besuchen, zu einem ruhigeren Zeitpunkt.

Vorahnung in G-Moll

...Agnieszka und ich sind also nach Oliwa gefahren, zu einem Konzert des Mozartiana-Festivals, standen ein wenig ratlos im Park vor dem Palac Opatów herum - die Besucher standen eng an eng, die Bühne mit dem, so vermuten wir, fabelhaften Orchester schien kilometerweit entfernt - und fragten uns, warum es wohl ein lohnendes Experiment sein sollte, keine Verstärker zu benutzen.
Ab und zu wehte der Wind die Ahnung einer Geige, vielleicht G-Moll zu uns herüber... Nach ein paar sehnsuchtsvollen Minuten - Agnieszka hatte sich so auf Mozartklänge gefreut - beschlossen wir, uns bei einer Tasse heißer Schokolade (und das im August!) zu erholen, vorzugsweise im Blekitny Pudel in Sopot. Die Sonne war schon längst untergegangen, es war empfindlich kalt, und so sorgfältig wir uns in unsere Schals hineinverknoteten, wollte uns nicht wärmer werden.

Durch den Park also zurück zum Auto. Dann die unheilvolle Überraschung: Der Besitzer eines wahrlich riesenhaften Ungetüms von Auto hatte uns mit selbigem zugeparkt. Nach einer halben Stunde des Wartens dann die Entscheidung, die straz miejska, so etwas wie die Stadtpolizei, zu rufen. Die kam nach kurzer Weile, war ratlos, wollte nicht den Abschleppdienst rufen, und vollbrachte am Ende das Wunder, unser Auto Millimeter für Millimeter aus seinem Gefängnis herauszubugsieren. Der Verkehr auf der Straße musste auch nur für einige Minuten lahm gelegt werden.

Aga war besorgt, ob ich darüber wohl im Blog schreiben würde, natürlich habe ich sie sofort beruhigt und gesagt, falls ich das täte, würde ich vor allem über die Luft an diesem Abend schreiben: Glasklar, eine Note von Rauch darin, ein Anklang von Humus, ein entschiedener Geruch von Kälte. Aga, sagte ich, wenn ich über diesen Abend schreibe, dann nur als die erste Vorahnung des Herbstes.

Stocznia Gdansk S.A.

Die Welt der Werft

So oft war ich schon am Denkmal der Werftarbeiter, so oft habe ich hinter das Gitter des Tores geblickt und mich gefragt, was sich wohl dahinter verbirgt, wie diese Werft wohl aussehen mag. Nur selten hat man das Glück und die Gelegenheit, hinter dieses Tor zu blicken, etwa, wenn eine Ausstellung auf dem Werftgelände ist, oder eine innovative Theatervorstellung. Sonst ist die Werft für Besucher geschlossen, immerhin werden in ihr noch Schiffe gebaut.

Hätte sich Slawek nicht in den Kopf gesetzt, mir Danzig zu zeigen, und zwar gründlich, wäre es wohl bei diesem weißen Flecken auf meiner Danzig-Karte geblieben. Aber so hatte er etwas Großartiges aufgetrieben: Eine "Subjektive Busfahrt", neunzig Minuten lang quer über das Werftgelände. Der Clou an der Sache: Geführt wird sie von einem ehemaligen Werftarbeiter, der die Tour mit eigenen Erfahrungen und Erlebnissen spickt. Als der Bus los fuhr, in die Werft hinein, kam gerade aus ihrem Innern eine Busladung Arbeiter nach der Schicht. Müde Gesichter, leicht erheitert beim Anblick der Touristen, die sich freiwillig hinein kutschieren lassen.

Auch wenn meine Hoffnung, von einem zotteligen Urgestein durch die Werft geführt zu werden, unerfüllt blieb, war es sagenhaft, Danzig aus dieser so einmaligen und vitalen Verortung kennen zu lernen.Einmal drin in der Werft, blickt man hinaus, nach Danzig. Das Gelände ist so groß und mit allem Lebensnotwendigem versehen, es ist wie eine Stadt innerhalb der Stadt, ein eigener Kosmos. Sicherlich einer der Gründe, warum sich ein so großes Selbstbewußtsein der Werftarbeiter bilden konnte... Von so einer Randlage, einer Außenlage, entwickeln sich zwangsläufig andere Sichtweisen. Und dann, wie bedeutungsschwanger, Gehäuse zu bauen, mit denen man über die Meere, an andere Ufer gelangen kann...

Überall der obligate Wermut, ein paar Lichtnelken, das ganze Terrain ist saftig überwuchert, das Grünzeug verschlingt mit großen Appetit die Metallteile, die überall umher liegen und dem ganzen Gebiet etwas sehr zufälliges, freiheitliches geben. Soll es doch wuchern, wenn es will. Wer sind wir schon, es ihm zu verbieten. In einem der alten Backsteingebäude hat Lech Walesa gearbeitet. Am Ende der Tour sagt unser Führer, dass wir Walesa ja nicht blind verehren müssten, aber seine damalige Rolle anerkennen, das schon.

Donnerstag, 20. August 2009

Der schreibende Körper

Ja, natürlich, Schreiben findet zuallererst und zuallermeist im Kopf statt. Findet dann, durch die Hand wandernd, zum Papier, oder, um weniger zu romantisieren: zum Word-Dokument. Zu denken, diese Körperteile wären die einzigen, die am Schreibprozess beteiligt oder von ihm betroffen sind, greift allerdings zu kurz...

Schriftsteller (wie John von Düffel, u.a.) sind meist hart trainierende Menschen, am Schreibtisch wie im Wasser, auf der Laufstrecke oder im Fitnessstudio. Der Ausgleich zu all dem, was im Kopf geschieht, wird überlebensnotwendig. Es scheint, eine gewisse körperliche Kondition wirke sich ebenfalls auf die Kondition beim Schreiben aus.
Es gibt aber eine Rückwirkung auf den Körper des Schreibenden, die sich weder durch eine vernünftige Sitzhaltung noch durch ausreichendes Training vorhersehen oder beeinflussen lässt, selten hört man davon, gelesen habe ich darüber noch so gut wie gar nichts.

Es ist die Wirkung der Geschichte auf den Körper selber. Je nachdem, was ich schreibe, an welcher Szene ich arbeite, kann sie mich körperlich völlig mitnehmen, auslaugen, aussaugen. Das hat nichts mit der Dauer der Schreibphase zu tun, sondern ganz konkret mit ihrem Inhalt. Einmal, ich be-schrieb den Zusammenbruch eines meiner Protagonisten - damit war auch die Hälfte des ersten Romans erreicht - bin auch ich daraufhin wie auf Kommando zusammengeklappt und erst nach zwei Tagen Fieber wieder aufgestanden.

Schreiben ist nicht nur Kopfarbeit, Schreiben ist körperliche Arbeit, im sehr wörtlichen Sinn. Heute vormittag habe ich eine Szene geschrieben, in der etwas fundamental schief läuft, und schon hat mich ein eigenartiges Gefühl beschlichen, es heute zu nichts vernünftigem mehr bringen zu können. Eventuell sollte ich etwas zu Mittag essen, ich bin mir aber noch nicht ganz sicher. Vielleicht sollte ich besser lesen. Heute früh habe ich ein großartiges Buch beendet, endlich: Die Liebe in den Zeiten der Cholera, von Gabriel García Márquez. Was der Mann während des Schreibens dieses Buches durchgestanden haben muss, möchte ich mir gar nicht vorstellen müssen.