Mittlerweile glaube ich, der "offizielle" Ort, den ich am häufigsten während meines Besuches aufgesucht habe, ist die Post auf der Langgasse. Heute war ich wieder da, ein paar Weihnachtspostkarten und ein Karton für ein Weihnachtspaket wollten eingekauft werden... ich bin unheimlich gerne auf der Post, sitze auf den Eichenbänken, befühle die kleinen Löwenköpfe, die die Bänke abschließen und betrachte das Taubenrelief, was die Wand schmückt.
Oft kommen Touristen hinein, einfach nur, um den Raum zu bewundern. Er gehört definitiv zu den Räumen an der Langgasse, die man gesehen haben muss. Ich bin mir sicher, viele ziehen einfach nur aus Spaß eine Nummer aus dem kleinen Automaten am Eingang.
Schon so oft habe ich das Taubenrelief bewundert, aber erst, als ich neulich etwas Geld überweisen wollte und eine Kindergartengruppe den Raum betrat, habe ich erst ihren tieferen Sinn verstanden.
Die Kindergärtnerin fragte die Kleinen, was sie da oben sähen - Tauben! - und erklärte ihnen, dass die Tauben deshalb dort seien, weil in früheren Zeiten eben die Tauben die Post gebracht hätten.
"Das glaub ich nicht", sagte da ein kleines Kind.
Mittwoch, 25. November 2009
Montag, 23. November 2009
Farbe. Einfärbung
Ausgiebiger Spaziergang durch die Vor- und Niederstadt mit Aleksander Maslowski, einem stadtbekannten (und darüber hinaus) Danzig-Experten. Was er auf einer seiner Seiten (www.rzygacz.webd.pl) betreibt, kam auch während des Gangs zum Tragen: die Aneignung und das Verständnis von Geschichte mithilfe persönlicher Geschichten, Geschichten "normaler" Menschen und Orten.
Die große Geschichte kennt jeder. Die Kleine kennen nur wenige. Und sei es, dass sie schmackhafter gemacht wird mithilfe von Anekdoten, Legenden, Sagen, Mythen: All das gehört zu dem, was wir Geschichte, was wir menschlich nennen. Nichts anderes ist Geschichte.
Zu den Bastionen Maidloch und Gertrud gewinnt man ein ganz anderes Verhältnis (überhaupt: ein Verhältnis), wenn man erzählt bekommt, dass zwischen ihnen, am Ufer des Grabens, ein deutscher Soldat, der dort erschossen wurde, begraben liegt. Und das Rauschen des Schilfes im Ohr: Natürlich, ein Flüstern. Geschichte wird so unmittelbar, be-rührend.
Über die Schienen, die zum alten Güterbahnhof führten, sind wir weiter bis zur Steinschleuse gestolpert. Von dort aus sind wir zu der Ruine eines Hauses hinüber gegangen, vor der drei aufeinander gestapelte Klötze liegen, bislang sind sie mir niemals aufgefallen.
Als wir näher kamen, erkannte ich ein Denkmal für die Gefallenen des ersten Weltkrieges - in fein ziselierter Frakturschrift. Aleksander erklärte, das Denkmal wurde aus irgendeinem der umliegenden Dörfer hierher geschafft, wahrscheinlich, um es zu zerstören. Ein paar Meter hinter dem Denkmal lag der Kiefer eines Hundes, vielleicht.
Die große Geschichte kennt jeder. Die Kleine kennen nur wenige. Und sei es, dass sie schmackhafter gemacht wird mithilfe von Anekdoten, Legenden, Sagen, Mythen: All das gehört zu dem, was wir Geschichte, was wir menschlich nennen. Nichts anderes ist Geschichte.
Zu den Bastionen Maidloch und Gertrud gewinnt man ein ganz anderes Verhältnis (überhaupt: ein Verhältnis), wenn man erzählt bekommt, dass zwischen ihnen, am Ufer des Grabens, ein deutscher Soldat, der dort erschossen wurde, begraben liegt. Und das Rauschen des Schilfes im Ohr: Natürlich, ein Flüstern. Geschichte wird so unmittelbar, be-rührend.
Über die Schienen, die zum alten Güterbahnhof führten, sind wir weiter bis zur Steinschleuse gestolpert. Von dort aus sind wir zu der Ruine eines Hauses hinüber gegangen, vor der drei aufeinander gestapelte Klötze liegen, bislang sind sie mir niemals aufgefallen.
Als wir näher kamen, erkannte ich ein Denkmal für die Gefallenen des ersten Weltkrieges - in fein ziselierter Frakturschrift. Aleksander erklärte, das Denkmal wurde aus irgendeinem der umliegenden Dörfer hierher geschafft, wahrscheinlich, um es zu zerstören. Ein paar Meter hinter dem Denkmal lag der Kiefer eines Hundes, vielleicht.
Freitag, 20. November 2009
Olivaer Forst
Der November verwöhnt die Stadt: kristallklare Luft und blendender Sonnenschein! Fahrt mit Andrzej hinaus nach Oliva. Erst der obligate Bummel vorbei an im Tiefschlaf versunkenen Villen (Dornröschen!, musste ich denken), weiter vorbei am Park und der Kathedrale, am Markt entlang, die Mühle hinter sich lassen.
Auf dem Weg hinauf zur Aussichtsplattform liegen die Blätter kniehoch! Wie die Kinder planschten wir im Buchengeblätt, lachten bis wir heiser waren und die Hälse von der kalten Luft schmerzten. Schweren Atems oben ankommen, bis zum Meer blicken, da hinten, die Marienkirche, ganz links Sopot, und hinter einem: Der Wald, die Moränen. Atemberaubend schön.
Andrzej erzählte, in Sopot könne man auch Ski fahren. Zwar nicht ganz wie in den Bergen, aber immerhin...
Mittlerweile glaube ich, es gibt in Danzig nichts, was es nicht gibt.
Donnerstag, 19. November 2009
Ex oriente lux
Ganz, ganz früh am Morgen, noch bevor die Sonne richtig aufgegangen ist, ist man mit den Anglern an der Mottlau allein. Die Stadt selber schläft noch, die Mariacka - die Frauengasse - ist wie leergefegt, Ruhe.
Ab und zu eine Katze. Keine Vögel. Fast hätte man die Wellen gegen das Lange Ufer schwappen hören können, so still war es heute früh.
Automatisch selber leise auftreten, um keinen Lärm zu verursachen, niemanden aufzuwecken.
Und im immer heller werdenden Tag hinüber zur Niederstadt laufen, leise, denn ein Freund hatte Nachtschicht bei der Polizei und lud ein zu einem frühmorgendlichen Frühstück, Kaffee und Pfannkuchen.
Die Niederstadt bei Sonnenaufgang: Noch entrückter, verschlafener als sonst. Auf der anderen Seite des Flusses scheint es noch Nacht zu sein, trotz des Lichtes, das sich langsam, vom Osten kommend, über Dächer und Häuser ausbreitet...
Dann in der Wohnung von Andrzej. Auf den kleinen Balkon im achten Stock treten, windig ist es hier oben, und hinüber zum Bischofsberg blicken. Einen heißen Kaffee in der Hand, und, also: Mit Danzig gemeinsam aufwachen.
Ab und zu eine Katze. Keine Vögel. Fast hätte man die Wellen gegen das Lange Ufer schwappen hören können, so still war es heute früh.
Automatisch selber leise auftreten, um keinen Lärm zu verursachen, niemanden aufzuwecken.
Und im immer heller werdenden Tag hinüber zur Niederstadt laufen, leise, denn ein Freund hatte Nachtschicht bei der Polizei und lud ein zu einem frühmorgendlichen Frühstück, Kaffee und Pfannkuchen.
Die Niederstadt bei Sonnenaufgang: Noch entrückter, verschlafener als sonst. Auf der anderen Seite des Flusses scheint es noch Nacht zu sein, trotz des Lichtes, das sich langsam, vom Osten kommend, über Dächer und Häuser ausbreitet...
Dann in der Wohnung von Andrzej. Auf den kleinen Balkon im achten Stock treten, windig ist es hier oben, und hinüber zum Bischofsberg blicken. Einen heißen Kaffee in der Hand, und, also: Mit Danzig gemeinsam aufwachen.
Dienstag, 17. November 2009
Die Arbeit des Tages
Eine Bildungs-Odyssee durch Danzig! Zumindest kam es mir so vor...
Heute früh um sieben ging sie los, und zwar mit der Tramway hinaus über Langfuhr nach Oliwa, zur Danziger Universität. Dort warteten zwei dutzend Studenten im Germanistik-Institut, mit denen zusammen ich ein kleines Block-Seminar durchführe: Über die neue deutsche Literatur der letzten zehn, zwanzig Jahre, und einen kleinen Crashkurs im Kreativen Schreiben.
Die Professorin, die den Kurs normalerweise betreut (Literatur des 20. Jahrhunderts) hatte mir zwar schon gesagt, dass es sich um Studenten des 5. Semesters handele, dennoch war ich überrascht von ihrer Sprachkompetenz. Und dann, dort, um 8 Uhr in der Früh, durchflutete mich im dritten Stock der Universität ein diffuses Glücksgefühl: Wie wunderbar, dass es in Danzig so gut ausgebildete, bilinguale Menschen gibt... Für mich in dem Moment: eine so gute Anknüpfung an vergangene Zeiten, ein (Sprach)Bewusstsein, vor dem man nicht anders als den Hut ziehen kann.
Natürlich war das am Germanistik-Institut, auf den Straßen finden man sowas zwar auch, aber naturgemäß seltener... Aber es ist doch erstaunlich, was für ein brückenschlagendes und friedenstiftendes Moment es sein kann, eine Fremdsprache so gut zu beherrschen. Noch dazu wenn es eine ist, die mit dem Ort, an dem man lebt, soviel zu tun hat.
Nächste Woche also der zweite Teil des Seminars: Figurenzeichnung und Räume, Orte, Atmosphäre. Nun allerdings gibt es erst einmal eine große Portion Tee - nach der Universität kam noch ein Treffen im Herder-Zentrum, wo ich Anfang Dezember ebenfalls einen Vortrag halten werde. (genauere Angaben folgen).
Heute früh um sieben ging sie los, und zwar mit der Tramway hinaus über Langfuhr nach Oliwa, zur Danziger Universität. Dort warteten zwei dutzend Studenten im Germanistik-Institut, mit denen zusammen ich ein kleines Block-Seminar durchführe: Über die neue deutsche Literatur der letzten zehn, zwanzig Jahre, und einen kleinen Crashkurs im Kreativen Schreiben.
Die Professorin, die den Kurs normalerweise betreut (Literatur des 20. Jahrhunderts) hatte mir zwar schon gesagt, dass es sich um Studenten des 5. Semesters handele, dennoch war ich überrascht von ihrer Sprachkompetenz. Und dann, dort, um 8 Uhr in der Früh, durchflutete mich im dritten Stock der Universität ein diffuses Glücksgefühl: Wie wunderbar, dass es in Danzig so gut ausgebildete, bilinguale Menschen gibt... Für mich in dem Moment: eine so gute Anknüpfung an vergangene Zeiten, ein (Sprach)Bewusstsein, vor dem man nicht anders als den Hut ziehen kann.
Natürlich war das am Germanistik-Institut, auf den Straßen finden man sowas zwar auch, aber naturgemäß seltener... Aber es ist doch erstaunlich, was für ein brückenschlagendes und friedenstiftendes Moment es sein kann, eine Fremdsprache so gut zu beherrschen. Noch dazu wenn es eine ist, die mit dem Ort, an dem man lebt, soviel zu tun hat.
Nächste Woche also der zweite Teil des Seminars: Figurenzeichnung und Räume, Orte, Atmosphäre. Nun allerdings gibt es erst einmal eine große Portion Tee - nach der Universität kam noch ein Treffen im Herder-Zentrum, wo ich Anfang Dezember ebenfalls einen Vortrag halten werde. (genauere Angaben folgen).
Sonntag, 15. November 2009
Unteres Langfuhr
Man soll die Woche nicht vor dem Sonntag loben: Wo gestern noch so atemberaubend schönes Wetter war, ist heute nur noch eine nasse Novemberkälte... Alles ist verhangen, ab und zu entschließt es sich, zu nieseln. Michal, sein kleiner Sohn Mateusz und ich hatten uns dennoch vorgenommen, endlich den Spaziergang zu unternehmen, von dem wir schon so lange reden:
Durch das untere Langfuhr, dem Ort Michals Kindheit.
Am Storchenhaus vorbei ("hier wurden Grass und ich geboren"), weiter zum Strießbach, wo die Jungsbande von damals im Sommer gebadet hat, sich von den Weiden über das kleine Sandufer hat fallen lassen. Schiffe schwimmen lassen, vor Blutegeln kreischend davonrennen. Heute ist der Strießbach begradigt, in Beton eingefasst, da bleibt wenig Platz für Fantasie oder Kinderspiele. Jetzt ist es die Erinnerung, die geteilt werden kann...sie ist immer das, was bleibt.
Dann, in der Nähe der Hallera: der kleine Laden, in dem man als kleiner Junge sein gesamtes Taschengeld für Autos und Kaugummis mit Stickern ausgegeben hat. Kleine Schätze. Damals, erzählte Michal, gab es hier kaum Autos (nicht vor 50, sondern vor 20 Jahren), dafür viel mehr Büsche und Sträucher als heute. Ganze Orchester von Spatzen hatten hier jeden Morgen Symphonien eingeübt.
Die Gärten der Nachbarn in der Nähe der Hallera, wo man Erdbeeren und Obst geklaut, der Park, in dem man Krieg gespielt hat. Alles wirkt auf einmal so klein. Der kleine Mateusz hat jedes Mal ganz große Augen gemacht, wenn ihm sein Vater erzählt hat, dass er hier als kleinere Junge gespielt hat. So, als ob er Geschichten hören würde aus längst, längst vergangenen Zeiten.
Durch das untere Langfuhr, dem Ort Michals Kindheit.
Am Storchenhaus vorbei ("hier wurden Grass und ich geboren"), weiter zum Strießbach, wo die Jungsbande von damals im Sommer gebadet hat, sich von den Weiden über das kleine Sandufer hat fallen lassen. Schiffe schwimmen lassen, vor Blutegeln kreischend davonrennen. Heute ist der Strießbach begradigt, in Beton eingefasst, da bleibt wenig Platz für Fantasie oder Kinderspiele. Jetzt ist es die Erinnerung, die geteilt werden kann...sie ist immer das, was bleibt.
Dann, in der Nähe der Hallera: der kleine Laden, in dem man als kleiner Junge sein gesamtes Taschengeld für Autos und Kaugummis mit Stickern ausgegeben hat. Kleine Schätze. Damals, erzählte Michal, gab es hier kaum Autos (nicht vor 50, sondern vor 20 Jahren), dafür viel mehr Büsche und Sträucher als heute. Ganze Orchester von Spatzen hatten hier jeden Morgen Symphonien eingeübt.
Die Gärten der Nachbarn in der Nähe der Hallera, wo man Erdbeeren und Obst geklaut, der Park, in dem man Krieg gespielt hat. Alles wirkt auf einmal so klein. Der kleine Mateusz hat jedes Mal ganz große Augen gemacht, wenn ihm sein Vater erzählt hat, dass er hier als kleinere Junge gespielt hat. So, als ob er Geschichten hören würde aus längst, längst vergangenen Zeiten.
Freitag, 13. November 2009
Eimerweise Licht
Heute das erste Mal wieder seit längerem: Ein Sonnentag von solcher Vehemenz, dass mich vormittags nichts am Schreibtisch halten konnte, ich mich in meinen Wollpullover packte und durch das Treppenhaus hinaus auf die Straße rannte, gierig die Luft einsog und geblendet die Augen schloss.
Ganz klar also ein Fall für den Klassiker meiner Routen, durch die Niederstadt, zu der Schleuse, vorbei an den Bastionen und endlich um den Wallplatz herum, in die alte Vorstadt. Zum ersten Mal in diesem Herbst war es so kalt, dass die Spucke der Passanten auf dem Gehweg gefroren war, blitzend schossen die kleinen Eispfützchen die Sonnenstrahlen nach oben zurück. Jedes Loch, jede Ecke, jeder Winkel wurde durchflutet von dem Licht: die Kioske in den Hinterhöfen der Lakowa, die Vorgärten der verfallenden Villen.
Ein Licht also wie ein Seziermesser, nichts bleibt verborgen. Nicht der abblätternde Putz auf den Garagen der Dobra, nicht die fein ziselieren Balkongeländer auf der Polna oder der Zielona. Hinten an der Mottlau saßen mehr Angler als gewöhnlich, als hätten sie nur auf das gute Wetter gewartet, als hätten auch die Fische nur auf das gute Wetter gewartet und als hätten sich beide Parteien auf ein Stelldichein getroffen.
Bauarbeiten an der Schleuse, die Mütze ins Gesicht gezogen und schnell weiter. Das übliche Chaos am Leege Tor, die üblichen Fahrschulautos, die sich in der Nieder- und Vorstadt häufen. Dem Drang widerstehen, auf die Bastion Maidloch zu klettern und hinüber zum Bischofsberg zu sehen; nein, lieber weiter zum Wallplatz, im kleinen Zeughaus, am Kunstinstitut vorbeischauen, auch überprüfen, ob der alte Springbrunnen mittlerweile randvoll ist mit moderndem Geblätt (ja).
Schließlich zurück durch die Rzeznicka, schlagartig ist der Zauber verloren. Aber dort hinten, am Wallplatz, da ist er beheimatet.
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