Sonntag, 9. August 2009

Nur in deinem Kopf

Vorgestern im Theater gewesen, gestern im Atelier von Ines. Einmal eine monologische Vorstellung der Geschichte des Theater mit Shakespeare-Versatzstücken, einmal eigenwillige Kohlezeichnungen von Grenzsteinen und Genitalien...
In beiden Fällen, sichtbare Kunst, nach außen getragene Konzepte, die visuell (natürlich nicht nur) rezipiert werden können - für einen kleinen Moment hat mich der Neid gestreift, und der aberwitzige Gedanke, zum Telefon zu greifen und Herrn S. in P. anzurufen und kundzutun: Das mit dem Schreiben über Danzig habe sich erledigt, nun werde Danzig gemalt und performativ dargestellt.

Diese Idee habe ich dann rasch wieder verworfen, und doch blieb ein bittersüßer Nachgeschmack. Als Schriftsteller ist man hauptsächlich allein. Natürlich, man kann im Café schreiben, aber das ist es nicht. Die Ideen und Texte bleiben bis zuletzt, und schließlich auch nach ihrer Fertigstellung, nur alleine erfahrbar. Im Kopf.
Um es dort auszuhalten, in den Monaten des Schreibens, muss man es sich bequem dort einrichten. Trotzdem bleibt es nicht aus, dass man es früher oder später nicht länger aushält, im eigenen Kopf.
Heute plane ich die Stadt- und Kopfflucht, raus ans Meer. Vielleicht gelingt es mir.

Freitag, 7. August 2009

Synaptische Labyrinthe

Morgens erste Schreibversuche an einer möglichen Szene, sehr intensiv, bis weit nach Mittag. Dann hinaus in den Sonnenschein und in den Wind, der in Danzig immer weht, und das plötzliche Erstaunen darüber, an dem Ort zu sein, über den man schreibt. Als wenn man gar nicht richtig aus seinem Kopf heraus gekommen wäre, und sich aufgrund einer eigenartigen Fehlschaltung der Synapsen weiterhin in den Labyrinthen seines Gehirns bewegt.

Ich kann es kaum erwarten, am Wochenende einmal herauszukommen aus der Danziger Innenstadt: Wenigstens bis nach Oliwa soll es gehen, in den Park, oder ans Meer, ein bisschen Weite genießen. Eine Freundin hat mich in die Kaschubei eingeladen, ich bin sehr versucht. Auch das steht noch auf meiner Liste: Das Umland erkunden, in dem Danzig eingebettet liegt. Oft sagen Umgebungen mindestens genauso viel über die Stadt aus wie die Stadt selber.

Donnerstag, 6. August 2009

Wielki Mlyn / Große Mühle




Heute erbost von einem Spaziergang durch die Altstadt zurück gekommen, sonst eigentlich eines der Gebiete in Danzig, die mir sehr lieb sind: Am Kanal Raduni/Radaune-Kanal entlang, sich unter eine der Weiden setzen und die Nase in ein Buch stecken...

Vor allem für Liebhaber von (großen) Backsteinbauten ist die alte Mühle eine wahre Pracht, so auch für mich. Lange Zeit konnte ich mich daran nicht satt sehen, und habe mir absichtlich einen Besuch des Inneren vorerst versagt .... um ja kein Detail des Äußeren zu verpassen, nichts unbesehen zu lassen.
Dann heute die grandiose Idee, sich nun endlich das "centrum handlowe", das Einkaufszentrum, das sich im Innern der Mühle verbirgt, in Augenschein zu nehmen.
Schwer, die Regungen, die beim Hineingehen auftreten, in eine Ordnung zu bringen: Migräne-Anfall, der dringliche Wunsch, sofort rückwärts wieder hinauszugehen, wegrennen.
In der großen Mühle wird Ramsch verkauft, es stinkt nach Plastik, und: es ist leer, einzig ein paar enttäuschte Touristen tapsen umher. Wenn ich den ganzen Ramsch und Kitsch auf dem Jarmark geschluckt habe, dann vor allem deswegen, weil er in zwei Wochen wieder vorbei sein wird. Aber muss man wirklich ein solch prächtiges Gebäude wie die große Mühle derart entweihen?
Ich denke an die Tuchhallen in Krakau, was dort verkauft wird, ist ebenfalls nichts, was es nicht woanders auch gebe. Aber wenigstens macht es nicht die Augen tränen.

Mittwoch, 5. August 2009

Island in the Sun



Heute ein Streifzug durch Danzig mit zwei ungeheuer intelligenten Frauen: Ines, einer portugiesischen Malerin, und Agnieszka, einer polnischen Kulturwissenschaftlerin. Ines' Ehe ist ein besonders interessanter Fall: Sie folgt nicht dem Muster, polnische Frau, ausländischer Mann, sondern genau umgekehrt, vor vier Jahren hat sie in London ihren Radek geheiratet. Und lebt nun in Gdansk.
Die Polen, sagt sie, seien sehr aufgeschlossene Menschen, gastfreundlich und überschwänglich. Auch wenn sie wegen ihres Tatoos und ihres Akzentes komisch angeschaut wird. Neulich in der Bar habe ihr jemand vorgehalten, dass es in Portugal so viele Schwarze gebe. Da hat sie sich auf dem Absatz umgedreht und ist gegangen.-

Gemeinsamer Ausflug auf die Speicherinsel, später. Ihre Ruinen ragen weit in den Danziger Himmel, ich dachte bislang, man ließe sie bewusst stehen, gleichsam als mahnende Erinnerung daran, wie die Stadt nach dem Krieg aussah. Agnieszka hat mich ausgelacht, mich naiv genannt und idealistisch. In Wirklichkeit, sagte sie, könnten sich die Besitzer der Grundstücke auf der Insel nicht zusammenraufen, nur einiges gehöre der Stadt, der Rest sei in privater Hand. Eigentlich wolle man das Flussufer um moderne Architektur bereichern.
Sind Ruinen so unmodern?

Dienstag, 4. August 2009

Was schön ist

An einem Antyki-Stand auf der ulica Straganiarska: Das leise Klirren der Kronleuchter im Wind

Schrittlenkung in der Marienkirche



Bravo Milord

...gerade schiebt ein Obdachloser sein vollbepacktes Wägelchen unter meinem Fenster vorbei, ich beuge mich hinaus und höre ihn singen: Laissez-vous faire, Milord, venez dans mon royaume.
Er trägt ein fadenscheiniges, mit Muscheln besetztes Goralen-Hütchen, seine Stimme füllt mein Zimmer aus. Überhaupt: Danzigs Gesicht in einem Park, 100 Meter vom brodelnden Stadtzentrum entfernt. Während des morgendlichen Kaffees habe ich innerhalb von zehn Minuten mehrere Menschen beobachtet, die hintereinander denselben Mülleimer untersucht haben. Einer hatte eine besonders ausgefeilte Technik: Mit einem langen Stab durchwühlte er auch die Glas- und Altpapiercontainer.

Im Park, in einem dichten Wacholdergebüsch, wohnt außerdem ein schwarzer Kater. Ich beobachte ihn dabei, wie er sich von alten Damen mit alten Brötchen füttern lässt. Ich glaube, es geht ihm gut. Vorhin ist er über den Rasen gejagt, einer Phantom-Maus hinterher.

...und noch etwas, was ich nur im Blog schreiben kann, in einem Roman kämen sofort Beanstandungen, wie konstruiert und klischiert das Bild wäre: Ebenfalls während des morgendlichen Aus-dem-Fenster-Starrens wurden drei Schornsteinfeger gesehen. Sie gingen über die Straße, einer bückte sich und versuchte den schwarzen Kater anzulocken. Der Kater erstarrte und verschwand im Wacholder. Die anderen beiden Schornsteinfeger lachten.