Mittwoch, 30. September 2009

Eigenleben

Ein weiteres Fragment der Stadterzählung im Blog, das kann nicht schaden, das kann höchstens zeigen: Das tut man hier, während man in Danzig ist und Stadtschreiber.
Vor allem aber plant man den Roman, sehr detailliert mittlerweile, schreibt erste Szenen, hat sogar schon einen Titel, der streng geheim ist. Um Kopf und Kragen plant man sich, ist einmal überzeugt von seiner Größe, einmal vom abgrundtiefen Schwachsinn des Ersonnenen. Nein: Im Grunde habe ich diese Phase längst hinter mir gelassen, bin überzeugt vom Rahmen meines Romans, jetzt kann nur noch an Details, an Gestaltungsfragen gemosert und geändert werden. Es gibt einen Punkt in der Planungsphase eines jeden Romans, an dem man nicht zurück kann, und auch nicht zurück sollte, sonst droht der fatalste aller Fälle: Dass man aufhört, zu schreiben. Das muss um jeden Preis vermieden werden.
Bevor es soweit ist, dass ich ein paar Seiten aus meinem zweiten Roman präsentiere, hier also ein weiteres Häppchen "Beiwerk", die Thematik passend zum heutigen Blog-Eintrag. Wer sich Sorgen gemacht hat: Meinem Zahn und mir geht es wieder gut, gutes Zureden und ein wenig Bohren haben Wunder gewirkt!


"Der Text verwehrt sich mir, schon seit einigen Tagen ringe ich mit ihm und ringe gegen ihn nach Worten. Heute Morgen dann hat er gewonnen, schmiss mich aus der Wohnung hinaus, er brauche nun Zeit für sich und könne mich für eine Weile nicht mehr sehen. Ich gehe durch die Straßen – in der Dominikanska biege ich ab Richtung Podwale Miejskie, wohin ich gehe, weiß ich nicht genau – und versuche zu begreifen, was geschehen ist.
Noch vor einer Woche meinte ich genau zu wissen, wo es mit ihm hingeht, ich führte ihn sicher an der Hand, entwickelte ihn, fing sogar an, ihn zu gestalten, als er sich plötzlich aufbäumte und sich mir von seiner abscheulichen Seite zeigte: der Langeweile. Seitdem hatte ich versucht, ihn zu heilen, herauszufinden, woran er krankte, aber je länger ich an ihm herumoperierte, desto unwilliger wurde er und schließlich hörte er gänzlich auf, sich mir mitzuteilen. Von einer Minute auf die andere verstummte er, hörte auf zu zappeln und sich zu recken, wie ein Käfer, der vor Schreck vorgibt, tot zu sein, streckt er, um mich von seiner Todesstarre zu überzeugen, seine Gliedmaßen von sich.
Ich ließ ihn also liegen, etwas angeekelt zwar und unangenehm berührt, aber fing dennoch an, an etwas anderem zu schreiben, solange, dachte ich, bis er von selber wieder aufwachen würde und sich mit leiser Stimme melden: Hör mal, ich bin doch nicht tot, ich hab nur so getan! Als er sich endlich aussprach, war er lauter und ungehaltener, als ich erwartet hatte. Unverantwortlich sei ich, undiszipliniert auch, aus diesen Gründen habe er nun den endgültigen Rückzug beschlossen, innere Emigration nenne man das, und bevor er mich aus der Wohnung schmiss, sagte er noch, dass ich nun nicht mehr viel von ihm erwarten könne.
Ich halte sein Verhalten für übertrieben, und während ich schon in der Straganiarska bin und die Pappeln röten sehe, denke ich, dass ich mir all das nicht gefallen lassen muss. Ich spitze meinen Bleistift, die grauen Flusen fallen auf den Bürgersteig."

Montag, 28. September 2009

Zusatz

...und hier endlich der Link zu Grzegorz Kwiatkowskis "Eine kleine Todesmusik", ein schmuckes E-Book zum Herunterladen: kwiatkowski_ebook.pdf
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors

Herbst, langsam

Es wird nun immer kälter.... gestern Abend habe ich zum ersten Mal mein wollenes Jäckchen angezogen, damit ist wohl der Herbst offiziell eröffnet. Dabei ist es tagsüber ganz erstaunlich warm gewesen, wie ein letzter Gruß des Sommers. Ich bin sehr gespannt, was mich nun erwartet. Ich warte noch immer auf die Auswechslung meiner
(Holz-)Fenster, die man mir versprochen hat. Es bleibt spannend...

Heute übrigens eine authentische Danzig-Erfahrung der etwas anderen Art: Ich muss zum Zahnarzt. Irgendwelche Empfehlungen?

Samstag, 26. September 2009

Frei

Seit längerem endlich wieder ein dreistündiger Spaziergang... wahllos quer durch Wrzeszcz, wunderbare Straßen und Gassen habe ich entdeckt, bis ganz nah heran an den Waldrand. Oh ja, hier würde ich mir ein Plätzchen zum Leben und Wohnen suchen, wenn ich länger bliebe!
Der Geruch von Stein und Wald liegt hier in der Luft, Katzen, die lautlos durch die Gärten huschen, kleine Kneipen, die man auf den ersten Blick gar nicht als solche erkennt: Weil sie in einer Garage sind, in einem Gartenhäuschen...
In einem Zimmer mit Parkett und Erker würde ich wohnen, und den Schreibtisch so nah wie möglich ans Fenster heran schieben, bis ich fast die Kastanie, die vor meinem Fenster wüchse, berühren könnte...

Als mich vor einem Monat der Berliner Rundfunk gefragt hat, ob ich mich schon in Danzig verliebt hätte, musste ich rumdrucksen und nach Worten suchen. Heute würde die Antwort anders lauten: Ja, ich habe mich verliebt - aber nicht in Danzig, sondern in Wrzeszcz!

Donnerstag, 24. September 2009

Zweierlei

Es gibt einen Grund, warum meine Spaziergänge und Streifzüge durch Wrzeszcz und die Untere Stadt in letzter Zeit etwas abgenommen haben (dennoch hat es gestern zu einem Bier in Nowy Port gereicht, unerkannt war ich, Polin - nicht aufgesetzte Stadtschreiberin, noch dazu aus Deutschland): Es gibt wahrhaft viel zu tun.
Von dem Blog sei keine Rede, nur soviel zu meiner Tätigkeit: Die Stadterzählung, von der ich neulich ein Fragment im Blog veröffentlichte, ist nicht das Hauptwerk, für das ich hier in Danzig recherchiere! Die Stadterzählung ist Beiwerk, eigentlich bin ich hier für den Roman. Dass mir das genannte und noch mehr soviel Zeit raubt, dass ich nurmehr zum recherchieren und konzipieren komme, ist nun jetzt einmal so.
Ich kann es selber kaum erwarten, endlich mit dem eigentlichen Schreiben zu beginnen. Allerdings: Es würde mich nicht wundern, wenn ein gewisser Abstand zu Danzig und seinen Gestalten dazu notwendig wäre. Danzig, ich habe es immer wieder gesagt, ist weder so einfach noch so gefällig, wie es sich in seiner Altstadt gibt.

Neue Dichter braucht das Land

Grzegorz Kwiatkowskis Augen blitzen im Licht der Spätsommersonne. Es ist das Blitzen der jüngsten, polnischen Lyrik: Kwiatkowski ist in Polen kein ganz unbekannter Name mehr - die Presse titelt: das enfant terrible der jungen Literatur - er hat bereits mehrere Gedichtbände herausgegeben und veröffentlichte in den wichtigsten Zeitungen Polens.

Ab und zu treffen wir uns zu einem Kaffee, reden über Romane und Lyrik, und es ist mir eine Ehre, erste Übersetzungen aus seinem rasant wachsenden Werk in meinem Blog vorstellen zu dürfen.
Hier also zwei Gedichte (die Originale sind im polnischen Blog zu finden), und ganz bald wird hier ebenfalls das e-book seines neuesten Bandes zu finden sein. Seine Homepage befindet sich hier: kwiatkowski.art.pl.


Künstler

beim Spaziergang am Fluss erblickte er eine Nymphe
im weißen Gewand mit Tang durchwirkt

gleich ist er nach Hause gerannt um Leinen Farben Pinsel zu holen
und kam an den Fluss zurück wo er bis zum Abend mit Blicken fischte

die Bewohner des Städtchens wunderten sich sehr über ihn
doch er sah, wie sie fünf Zentimeter über dem Wasser schwebte

das Bild wurde in der Sankt-Georgs-Kirche in Tinben aufgehängt
wo man es bis zum heutigen Tag bestaunen kann:

Maria Himmelfahrt
Gemälde aus dem Jahr 1680
Künstler: unbekannt


Ersatzlicht

es ist offensichtlich
dass man schreiben sollte über einen Stein einen Baum
die Form eines Hauses oder das Gesicht der Mutter

wenn ihr in den Gedichten
über Miłosz Pollock Rimbaud und Kafka lest
wisset, dass der Autor ein literarisches Solarium besucht hat

auf dem Schild des Solariums heißt es:
"Ersatzlicht für alle "
"besonders förderlich für Künstler also Ungeliebte"

Sonne wurde durch Druckfarbe verdeckt
Spaziergänge durch Beschreibungen der Landschaft ersetzt
Liebe verwandelte sich in billige Romanzen

es ist offensichtlich

Dienstag, 22. September 2009

Die neue Grundlage

Eigenartigerweise sagt mein neuer Teppich etwas über den Roman aus... nun traue ich mich kaum mehr, ihn zu betreten.

Parallel

Egoistisch sind Romane, egozentrisch und geizig an Aufmerksamkeit. Allein ihre Planung verschlingt jeden Nerv und jeden Gedanken, die Gedanken über Struktur und Aufbau sind die letzten, die ich abends hege, und morgens die ersten, die mich bestürmen.

Jetzt, wo es sehr konkret wird, ich an einzelnen Szenen und ihrer Konzipierung arbeite, muss ich mich zwingen, mein Browserfenster zu öffnen und zu meinem Blog zu finden. Auch das Schreiben der Stadterzählung fällt zurück, dafür füllt sich mein Heft mit den Aufzeichnungen zum Roman...

Gleich morgen früh aber werde ich einige Minaturen verfassen, noch bevor mich die Gedanken an den Roman ereilen. Denn dann fressen sie Inspiration, vertilgen sie restlos, nähren sich an ihr, werden fett und reifen.
Es ist eine gute Zeit.

Montag, 21. September 2009

Traumwelten

Heute nacht hatte ich einen eigenartigen Traum. Ich träumte, ich sei in Danzig unterwegs, irgendwo in der Innenstadt, vielleicht auf der Szeroka, und plötzlich hörte ich Leute, die "Feuer!" schrieen, hörte Fensterscheiben bersten, Häuser in sich zusammenbrechen. Ich ging schneller, plötzlich war ich in eine Rauchwolke eingehüllt, Stimmen um mich herum, laut war es, Explosionen überall, und der einzig klare Gedanke, den ich fassen konnte, war: Ich muss unbedingt ans Krantor und gucken, wie es ihm geht.

Als es endlich ruhiger wurde, bin ich die Szeroka hinuntergeeilt, hinab an die Motlawa, und für einen Moment durchzuckte mich der Gedanke: Wie dumm von mir, wer wusste schließlich schon, ob die Explosionen schon ein Ende hatten?
Die Straße um mich herum war verwüstet, ich erkannte sie kaum wieder, da war nur dieses diffuse Traumgefühl, zu wissen, wo man war, ohne dass man es sah. Durch den Rauch hindurch sah ich die Mauern des Krantors, nur waren sie viel zu klein, viel zu klein...

Dann bin ich aufgewacht. Das erste, was ich tat, war ans Fenster zu springen und mich rasch zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist und gut. Es war alles in Ordnung und gut. Vielleicht sollte ich aufhören, vor dem Einschlafen ein Geschichtsbuch über Danzig zu lesen. Ich muss Danzig vor meinen Träumen schützen.

Samstag, 19. September 2009

Stadterzählung

Endlich ein ordentliches Stück vorangekommen mit meiner Danziger Stadterzählung! Ein kleiner Kosmos entsteht unter meinen Händen, und weil der Umfang so klar abgesteckt ist, kann ich ihm bei seiner Entwicklung im wahrsten Sinne des Wortes zusehen. Danzig wird in diesem kleinen Büchlein schon leicht verwandelt, ich eigne es mir schreiberisch an, Figuren tauchen immer wieder auf, werden überzeichnet, dazu erfunden, und immer wieder passieren Dinge, wie sie eigentlich nicht passieren können. Und Sprache, immer wieder Sprache. Für das Schaffen einer Atmosphäre ist sie genauso wichtig wie das Beschriebene selber.

Eine der beschriebenen und fiktionalisierten Figuren ist mein Nachbar "Pan Malszewski". Als Kostprobe findet sich über ihn folgendes Fragment:


"Als ich nach Hause komme, liegt dort, im Halbdunkel des Treppenhauses, ein Schatten. Ich mache das Licht an, es ist Herr Malszewski, Herr Malszewski liegt vor seiner eigenen Wohnung hingeknüllt wie die Zeitung von vorvorgestern. Er hat es nicht aus seinem Ölzeug geschafft, der orange-gelbe Overall leuchtet dumpf vor sich hin. Im Treppenhaus riecht es jetzt nach Metall und Alkohol. Vielleicht war heute Zahltag.
Um an meine Wohnungstür zu gelangen, muss ich ganz nah an ihn herantreten. Guten Abend, Herr Malszewski, sage ich schüchtern, aber bekomme keine Antwort. Wie auch: Herrn Malszewskis Augen zeigen verdreht nach oben, sein Schnurrbart ist ganz wirr, man möchte ihn zurechtbürsten, wie man einem Kind über den strubbeligen Kopf fährt. Ein Speichelfaden tropft über das Kinn auf den Boden und kommt auf einer Stufe zu liegen.
Ich schließe mich in meiner Wohnung ein und kauere hinter meiner Tür: Denn die eigentliche Frage ist, ob Frau Malszewska zu Hause ist, oder ob sie erst noch nach Hause kommen wird.
Diesen Moment darf ich auf keinen Fall verpassen. Ich horche."

Montag, 14. September 2009

Bücher

Heute ist endlich mein lange ersehntes Paket mit Büchern aus Deutschland gekommen...ich fiebere schon darauf, die Seiten aufzuschlagen, sie abzutasten und aufzusaugen...Unter anderem liegt in dem Paket der neue Roman von Terezia Mora, "Der letzte Mann auf dem Kontinent".

Obwohl ich erst mein Sachbuch über Danziger Stadtgeschichte beenden wollte, konnte ich mich nicht beherrschen und habe bereits die ersten dreißig Seiten verschlungen...Mora ist eine ganz außergewöhnliche, völlig eigenständige und hinreissende Autorin. Ihr letzter Roman "Alle Tage" gehört meiner Meinung nach zu einem der besten der neueren deutschen Literatur. Ich glaube, sie könnte zu einem zweiten Wurf ähnlicher Reichweite angesetzt haben. Der letzte Mann lässt sich gut an, wieder das Spiel mit Perspektive und Erzählsituation, präziser Sprache und doch immer wieder - Komik.

Die nächsten Tage werde ich wohl verschwinden in meiner Lektüre, ich habe schon einige Orte aufgetan, wo sich das am besten tun lässt. Übrigens habe ich gestern auf der Westerplatte herausgefunden, wo meine Protagonistin - ich entwickle eine ungestüme Faszination und Sympathie für sie - arbeitet, und wo sie vorher ihren Einstieg in Danzig gefunden hat. Ich weiß nicht, wie lange es anhält, aber momentan bin ich begeistert!

Sonntag, 13. September 2009

Größenwahn

Aga, Ines und Filip sind ans Meer gefahren, Jastrzebia Góra, weit hinaus also. Ich bin zu Hause geblieben und schmiede irrwitzige Pläne, beschreibe wie in einem Rausch Seite um Seite meines Notizbuches, springe auf, gehe auf und ab, verwerfe, was ich gerade eben noch notiert hatte. Ab und zu erreichen mich Nachrichten von Aga und Ines, fragen, wie es mir geht, ich vermute, sie kontrollieren, ob mir noch nicht der Kopf geplatzt ist oder zumindest noch an der richtigen Stelle sitzt.

Mittlerweile habe ich meine Protagonistin klar vor Augen, ihren Namen, ihr Aussehen, ihre Geschichte. Ich arbeite nun an der Konzeption der unmittelbaren Vorvergangenheit - was ist passiert, wie konnte es zu dem kommen, was passiert ist? Die Familiengeschichte, ihr polnisch-deutscher Hintergrund, ist auch bereits entworfen. Bei einer Wohnungsfrage ("Ja, aber kann es denn rein theoretisch diese Wohnung überhaupt geben?!" half mir übrigens ein sehr gelehrter Danzig-Kenner, ich bin sehr dankbar für all die Leute, die ich hier treffe, und die mir in so vielem helfen.

In einem Moment die absolute Begeisterung, im nächsten Zweifel, die einen packen und zuflüstern, dass das, was man vorhat, größenwahnsinnig sei und wirr. Ich möchte aber weder diese Zweifel, noch Größenwahn oder Wirrnis scheuen müssen. Ich glaube, sie sind Wegabschnitte zum Ziel, und das Ziel ist ambitioniert, das muss es sein. Mein Plan, wie er jetzt ist, hat wenig zu tun mit dem, was ich mir am Anfang vorgestellt habe. Auch das ist normal.

Eventuell fahre ich gleich noch hinaus ans Meer, an die Westerplatte vielleicht. Es wird Zeit, dass sich unser Verhältnis normalisiert, seit dem Chaos von Anfang des Monats. Ich möchte gern dort einmal die Stille erleben, die Friedfertigkeit. Außerdem kann ich dann Ines und Aga schreiben, dass ich mich durchaus aus meinem Kämmerlein am Wochenende hinaus bewegt habe!


Freitag, 11. September 2009

Sous le ciel de Pologne

Gerade bin ich mit der wiederholten Lektüre Rilkes "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" fertig geworden. Ich verstecke gar nicht, dass ich daraus klaue wie ein Rabe: Rilke ist Großmeister der fein ziselierten Sprache und starken Bilder, damit kriegt er mich immer wieder. Meine Danziger Stadterzählung - dieser Band wird schon nächstes Jahr erscheinen, ganz konkret also - wird, ähnlich wie der "Malte", ebenfalls aus Fragmenten und Aneignungen bestehen, Fiktionalisierungen, die erst in ihrer Masse ein Bild des Erzählers ergeben. Hauptrolle spielt natürlich Danzig, immer wieder Danzig, mit seinen Geschichten und Momenten.

Und dann Paris: Wie merkwürdig, dass trotz der unheilvollen Beschreibungen Paris' und seiner Gestalten, ich mich plötzlich heftig nach der Metropole an der Seine sehne...Meine Sehnsucht geht so weit, dass ich meine Fenster weit geöffnet habe und in den Regen Edith Piaf und Serge Gaisnbourg hinaus singen lasse. Sous le ciel de Paris s'envole une chanson... was gäbe ich nicht für ein Croissant á l'almendre irgendwo im Quartier Latin!

Also ein Tag der törichten Sehnsucht und einer unbestimmbaren Rilke-Melancholie. Ich verbiete mir das ganz und gar nicht. Jeder Gedanke und jene Sehnsucht wird schließlich zurück strahlen auf den Ort, an dem ich mich tatsächlich befinde, und mir neue Aufschlüsse über ihn liefern. Auch Aufschlüsse über mich selbst und was ich vermisse, wenn ich fort bin. Ich weiß nun übrigens, dass ich für den Roman mich mehr mit Wrzeszcz und Nowy Port auseinander setzen muss.
Benjamin Biolay singt gerade: Novembre toute l'année. Es regnet noch immer, Kälte dringt ein in mein Zimmer, aber der Kaffee wärmt meine Hand.


Mittwoch, 9. September 2009

Die Identität des Weiser Dawidek

Gestern Abend war ich bei einem Autorengespräch mit Pawel Huelle. Hatte ich Massen von Besuchern und einen völlig überfüllten Zuschauerraum erwartet, wie ich es von Krakauer Autorengesprächen kennen, hatte ich mich geirrt. Es fand statt im sehr überschaubaren und intimen Rahmen der Filia Gdanska, der Städtischen Bibliothek in der ulica Mariacka.

Übrigens auch ein besichtigungswürdiger Ort, ebenfalls ohne Pawel Huelle: Ein schneckenhausartiges Inneres, Eichenholzmöbel, Messinglampen, eine Wendeltreppe und umlaufende Galerie. Wunderbar bis ins kleinste Detail, es ist so spürbar, wenn jemand Liebe in einen Ort, einen Raum investiert, in diesem Fall war es wohl der Bibliotheksleiter Zbyszek Walczak.

Und dann Pawel Huelle, der ein bißchen erzählte von seinem Danziger Selbstverständnis, Anekdoten, Episoden aus seiner Kindheit, gut berichtet, gut aneinander gefügt. So hätten sie auch in seinem großartigen Buch "Weiser Dawidek" stehen können. Einige Bücher hat er währenddessen auch kommentiert, augenzwinkernd auch das Buch seines Kollegen Stefan Chwin, "Hanemann" (zu deutsch Tod in Danzig).
Viele Anekdoten, die sich um seinen Skeptizismus ranken, was alles Deutsche angeht - jedesmal ein humoristischer Moment, wenn er dabei etwas schuldbewusst den deutschen Konsul anblickte, der neben mir saß und amüsiert aussah, jederzeit.

Seiner Meinung nach übrigens ist das beste Buch von Günter Grass "Katz und Maus", das schmächtigste der Danziger Trilogie. Eine Empfehlung, der ich mich dringend anschließen möchte: Das Werk des großen Fernando Pessoa, des portugiesischen Schreiber-Genies. Huelle empfahl "Ricardo Reis", ich sage: "Das Buch der Unruhe".

Montag, 7. September 2009

Über alles

Ich arbeite gerade sehr intensiv an der Zweitveröffentlichung, die es neben dem Roman über Danzig geben soll (die auch wesentlich früher erscheinen wird), ihr Titel soll sein: "Danzig. Eine Stadterzählung." All meine Notate, die ich Tag für Tag in meinem Skizzenbuch versammelt habe, werden nach und nach in kleine, literarische Fragmente verwandelt - es ging gut voran, gestern, und als mir irgendwann nachmittags der Kopf rauchte vor lauter "Fragmentierungen", bin ich hinunter an den Targ Weglowy gegangen, um mich ein bißchen abzulenken.

Ein Plan, der zumindest auf den ersten Blick voll funktioniert hat...im Rahmen des Festivals der europäischen Kulturhauptstädte gab es dort gestern ein kleines "Wilna-Fest". Faszinierend zu sehen, wie sehr die Polen von der litauischen Kultur angezogen werden. Die Stände mit den Woll-, Leinen-, Wurst- und Käse-Produkten konnten sich des Ansturms kaum erwehren.
Es gab auch eine kleine Bühne, auf dem eine Gruppe der polnischen Minderheit in Litauen ihre Tänze und Lieder vorführte, sehr interessant ihr Dialekt, sehr spürbar der russische Einschlag.

Auf die Schnelle also ein paar ethnologische und soziologische Studien betrieben, und dann: Sich von der allgemeinen Euphorie anstecken lassen und ein Stück litauischen Käse mit Knoblauch gekauft haben ("otschen wkusnyj!"). Zuhause habe ich noch ein wenig herumfragmentiert, abends bin ich ich Ines, Aga und Filip auf ein polnisch-litauisches Akkordeonkonzert in der Sw. Jakub-Kirche gegangen. Nach einer Stunde haben wir uns hinausgestohlen, anstelle von flotter Folkoremusik hat uns eine Bachinterpretation erwartet.

Heute werde ich einen langsameren Gang einlegen müssen. Der Käse aus Litauen war mir des nachts alles andere als wohlgesonnen, vielleicht als Strafe dafür, dass wir nicht bis zum Ende das Konzert angehört haben...

Donnerstag, 3. September 2009

Leibhaftig

Wie blind man für einen Text werden kann! Heute habe ich einen Teil jenes Textes wiedergelesen und ein weiteres Mal korrigiert, der mich bereits seit über einem Jahr begleitet - mein erster Roman. Auch er mit einem polnischen Thema: Schlesien, zwei Zeitebenen, zwei miteinander verflochtene Reisen. Eine doppelte Vertreibungsgeschichte, der Teufel, der leibhaftig umgeht, und einer Protagonistin in der Jetzt-Zeit, die sich nach dem Tod ihres polnischen Großvaters von Schlesien nach Galizien durchschlägt, der Keimzelle ihrer Familie.

Ich kenne jedes Wort, kann im Kopf jeden Satz beenden, den ich anfange, zu lesen. Es ist kein Text mehr, die Sätze zerfasern in Worte und die Worte in Silben. Ich höre ihn mehr, fühle ihn - ganz stofflich - als dass ich seinen Sinn begreife. Das ist der Punkt, an dem der Schriftsteller den Text aus der Hand geben sollte. Ein ganz eigenartiges Gefühl. Als würde man ein Kind vor der Zeit in die Welt hinaus schicken.

Gleich morgen früh werde ich ihm ein paar Brote schmieren, einen Apfel und ein Stück Schokolade mit auf den Weg geben, ihm noch einmal übers Haar streichen, bevor ich langsam die Tür hinter ihm schließe. Jeder Abschied tut weh. Wie gut, dass es da etwas neues gibt, dass langsam in mir gedeiht und immer mehr Gestalt annimmt.

Am Morgen

Heute gab es Nebel. Ich mag Nebel.

Mittwoch, 2. September 2009

Westerplatte

Ich habe das Gefühl, mein ganzes Leben auf der Westerplatte verbracht zu haben - dabei können es gestern höchstens neun Stunden gewesen sein. Ein Leben, gefüllt mit der sich ein letztes Mal aufbäumenden und dabei alles versengenden Sommersonne, fragilen, weißen Plastiksonnenschirmen, Filmleinwänden, von denen Maschinengewehrsalven hinunterdonnern, Kontrollhelikoptern, Durst, Reden, Fernsehen, sehr viel Fernsehen.

Angefangen hatte alles mit einem kleinen Dreh der ARD in der Innenstadt, dann auf einem Kriegsschiff für das polnische Fernsehen, TVP. Dort hatte ich das Vergnügen, Stefan Chwin und seine Frau zu treffen - auf meine Frage hin, wie der Urlaub gewesen sei, hatte er die Augen aufgerissen und gesagt: Ach, wir waren ja bloß in den Kaschuben - wissen Sie denn, was das ist, die Kaschuben?
Natürlich war ich viel zu verdattert, um situationsgemäß zu reagieren - ich habe brav gelächelt, Jawohl, Herr Chwin, ich weiß, was die Kaschuben sind - und später hat der Kameramann Michal von der ARD kommentiert, ich hätte ihm erzählen sollen, dass ich in Berlin wohne: Ob er wisse, was das sei?
Jaja, Schlagfertigkeit ist das, was einem auf dem Nachhauseweg einfällt. Frau Chwin übrigens ganz in weiß mit Hut, queen-like, kirschrote Lippen.

Dann die Niederlegung der blauen Windlichter und die Reden. Kaczynski hat den Eindruck eines etwas gelangweilten Geschichtslehrers auf mich gemacht, Tusk war nicht viel besser, erst Merkel hat mich mit ihrer Emotionalität wieder aufgeweckt, auch Putins Rede fand ich beinahe versöhnlich und somit sehr überraschend.

Ich glaube ja, es ist sehr anstrengend, für das Fernsehen zu arbeiten, vor allem, wenn es für einen gewichtigen Sender wie die ARD ist. Vor allem aber dann, wenn man vor hat, die Stadtschreiberin während der Festivitäten zu drehen, und selbige am Eingang der Westerplatte merken muss, dass irgendjemand im Stadtbüro vergessen hat, die vollständige Einladung zu schicken, man deshalb mit ihr zwei Stunden in praller Sonne vor dem Eingang warten muss, bis der Plastikanhänger, den man sich um den Hals hängt, per Auto nachgeschickt wird, und man erst dann, verspätet, mit der Arbeit beginnen kann.
Nein, ich beneide die Fernsehredakteure nicht. Ich als Stadtschreiberin kann wenigstens alle Phänomene nehmen, wie sie kommen.
Wenn es Chaos ist, nehme ich Chaos, sage, schreibe: Chaos.

www.kulturforum.info:
Danziger Stadtschreiberin in den ARD tagesthemen und im ZDF heute journal